Übersetzt von Korinna Kochinke.
Festzustellen, wie infektiöse Krankheiten sich verbreiten, schient allein Aufgabe der Medizin zu sein; aber ein genauer Blick auf die Zahlen kann uns ebenfalls Einblicke verschaffen.
Während der jüngsten Ebola Epidemie in Westafrika hatten Flughäfen in den USA, England und verschiedenen anderen europäischen Ländern damit begonnen, Reisende, die aus Hochrisikoländern gelandet waren, auf Symptome von Ebola, einschließlich erhöhter Körpertemperatur, zu kontrollieren (Screening). Dies mag den Anschein einer vernünftigen Vorsichtsmaßnahme gehabt haben; aber eine kürzlich erschienene Studie, die einfache Berechnungen auf bekannte Tatsachen der Krankheit anwendet, zeigt, dass diese Maßnahme kaum jemals hätte wirkungsvoll sein können.
von Reisenden nach Ankunft
des Flugzeuges kann die
Ausbreitung von Ebola kaum
verhindern
Mit freundlicher Genehmigung
von KlausF; Bildquelle:
Wikimedia Commons
Die Studie, welche im British Medical Journal (Mabey et al, 2014), veröffentlicht worden war, fand heraus, dass ‘ein Screening von Reisenden bei Eintritt nach England keinen nennenswerten Effekt auf das Risiko, Ebola nach England zu importieren, haben kann’. Die Autoren führen ein einfaches Argument an: wenn man davon ausgeht, dass jeder, der bereits Symptome von Ebola aufweist, das Flugzeug nicht betreten darf, müsste ein Passagier, um beim Screening am Ankunftsflughafen aufzufallen, diese Symptome während des Fluges entwickelt haben. Da es aber relativ lange dauert (ca. eine Woche), bis man nach Ansteckung mit dem Virus Symptome zeigt, sind die Chancen, eine infizierte Person auf diese Weise zu entdecken, äußerst gering – höchstens 13%. Da das Testverfahren im Flughafen sehr teuer ist, schlagen die Autoren vor, das Geld besser in Westafrika selbst auszugeben, um eine humanitäre Kriese mit ‚erschreckenden Proportionen’ zu verhindern.
Man kann viel herausfinden, wenn man bloß grundlegende Mathematik anwendet; aber man muss vorsichtig sein bei der Entscheidung, welche Zahlen man verwendet. Zu Beginn des Ebola-Ausbruches ging man davon aus, dass die Todesrate bei 50% läge; diese Rate wurde berechnet, in dem man die Anzahl der gemeldeten Ebolafälle durch die Zahl der Todesfälle dividierte. Dies aber vernachlässigte den Fakt, dass für bereits erkrankte Personen der Ausgang offen war: sie wurden als lebend gezählt, obgleich einige von ihnen sterben würden. Dies führte zu einer Unterschätzung der tatsächlichen Todesrate.
kommender Reisender wird
am O’Hare Flughafen in
Chicago auf Ebola getestet
Mit freundlicher Genehmigung
von Melissa Maraj, US Customs
and Border Protection;
Bildquelle: Wikimedia
Commons
„Dieser Fehler passierte häufig, und [die Todesrate von 50%] wurde weitläufig verbreitet,“ sagt Adam Kurcharski von der englischen London School of Hygiene and Tropical Medicine, ein Kollege der Autoren der Studie zum Flughafen-Screening. „Mit einer sehr einfachen Analyse haben meine Kollegen und ich versucht, die Schätzung zu korrigieren. Wir fanden heraus, dass die Todesrate eher bei 70% liegt. Dies haben nachfolgende klinische Studien bestätigt.“
Eine äußerst wichtige Nummer zu Beginn einer Epidemie ist die elementare Reproduktionsrate, normalerweise als R0 bezeichnet. Diese Größe spiegelt die Anzahl der Leute wieder, die von einer ansteckenden Person infiziert werden können und setzt voraus, dass niemand in der Bevölkerung immun gegen die Krankheit ist. Zu Beginn der Seuche wurde für Ebola eine Reproduktionsrate R0 von 1,5-2 geschätzt. Diese ist ähnlich der R0 für Influenza. Masern, eine Krankheit die sich auf dem Luftweg ausbreitet und hochinfektiös ist, hat einen R0 von ungefähr 18.
Wiederum kann fundamentale Mathematik dabei helfen, eine grobe Idee davon zu vermitteln, wie schnell eine Krankheit sich auszubreiten vermag. Wenn eine Krankheit einen R0 von 2 hat und eine durchschnittliche infizierte Person verbreitet die Krankheit für zwei Wochen während sie selbst erkrankt ist (was realistisch für Ebola ist), infiziert diese Person in den zwei Wochen zwei weitere Menschen. Diese wiederum werden in den nächsten zwei Wochen zusammen vier weitere Menschen anstecken und so weiter. Dies ist exponentielles Wachstum das sehr schnell zunimmt: nach gerade mal 20 Wochen hat die Krankheit so viele Menschen infiziert:
1 + 2 + 4 + 8 + ... + 210 = 2047 Menschen
Dieses Modell ist natürlich stark vereinfacht. Obwohl exponentielles Wachstum oftmals als der Start für Epidemien angesehen wird, benutzen Epidemiologen ausgereiftere Modelle um die Ausbreitung einer Krankheit zu prognostizieren (siehe Keeling, 2001, und Kucharski, 2011). Nichtsdestotrotz ist die Wichtigkeit von R0 einfach einzusehen: wendet man die gleiche Berechnung auf Masern an, wäre die gesamte Weltpopulation innerhalb von 16 Tagen infiziert.
Allerdings ist R0 nur ein Mittelwert über die gesamte Population, als nächstes müssen wir also verstehen lernen, wie diese Nummer variieren kann. Zum Beispiel hat eine kürzlich erschienene Studie (Yamin et al, 2015) vorgeschlagen, dass Patienten mit Ebola in späteren Stadien der Krankheit ansteckender sind als zu Beginn, so dass eine Isolierung der Patienten während dieser späteren Stadien -und sogar nach ihrem Tod, wenn sie für das Begräbnis hergerichtet werden – einen größeren Effekt haben sollte, als dies in früheren Stadien der Fall wäre.
Natürlich ist die Wahrscheinlichkeit ein bedeutender Faktor – besonders zu Beginn eines Ausbruches. Die erste Person, die in Sierra Leone, wo mehrere tausend Leute starben, an Ebola erkrankte, war zufälligerweise ein Heilpraktiker, dessen Begräbnis viele Menschen besuchten. All die Menschen, die den infektiösen Leichnam berührten, nahmen die Krankheit mit als sie zu anderen Orten reisten.
Aufnahme des Ebola-Virus,
wie er von sich von einer
Zelloberfläche ablest
Mit freundlicher Genehmigung
des National Institute of Allergy
and Infectious Diseases (NIH);
Bildquelle: Flickr
„In Situationen mit sehr kleinen Nummern bedarf es nur eines Ereignisses, um den Ausbruch entscheidend zu verändern,“ sagt Adam. Wiederum ist die elementare Reproduktionsrate, R0, ein entscheidender Faktor dafür, was wahrscheinlich passieren wird. Die Wahrscheinlichkeit, mit der sich ein Krankheitsausbruch in eine Epidemie wandelt, kann folgendermaßen berechnet werden: 1-1/ R0 (siehe Kucharski, 2011). Ebola hat einen R0 zwischen 1,5-2, damit beträgt die Wahrscheinlichkeit zwischen 1/3 und ½, also 33-50%. Folglich hatten wir mit dem jüngsten Ausbruch von Ebola ein bisschen Pech.
Es gibt jedoch noch weitere Quellen der Unwägbarkeit, wenn man den Verlauf einer Krankheit oder die Auswirkungen von Interventionen berechnen will. Es könnte eine Komponente im Modell fehlen oder es besteht eine anfängliche Unwägbarkeit in einem bedeutende Parameter, wie z.B. R0, der sich weiter auswirkt wenn das Modell Berechnungen für Ereignisse in fernerer Zukunft anstellt. Dies, bekannt als Schmetterlingseffekt, ist der Grund dafür, dass viele Phänomene, wie z.B. das Wetter oder die Börse, so schwer vorherzusagen sind.
Wie können wir also mit der Unwägbarkeit fertig werden? „Ich denke, dass Modellentwickler manchmal bescheidener sein sollten und sagen sollten, dass sie die Zukunft nicht so weit im voraus berechnen können,“ sagt Adam. „Menschen bevorzugen es, eine definierte Zahl zu haben; besonders Journalisten verwenden diese gerne. Aber wenn es um irgendeine Art der Vorhersage geht, ist das Verwenden einzelner Nummern eine gefährliche Sache.“
Manchmal jedoch sind die Ergebnisse einer Studie sehr überzeugend, selbst wenn ihr eine Unwägbarkeit innewohnt; wie z.B. die Studie über die Effektivität des Flughafen-Screenings. „Die Einführung dieser systematischen Untersuchungen am Flughafen war mehr eine politische denn eine wissenschaftliche Entscheidung,“ schlussfolgert Adam. Wir werden alle von unseren Ängsten geleitet, wenn wir besorgt sind, aber die Vorhersagen durch sorgfältig kalibrierte, evidenzbasierten mathematischen Modellen sind wahrscheinlich besser Richtlinien um Maßnahmen zu treffen.
Quelle: Weltgesundheitsorganisation, April 2015
Dieser Artikel ist in einer ausführlicheren Version im Plus magazinew1 erschienen, einem kostenlosen Online-Magazin, dass einem die Tür zu der wunderbaren Welt der Mathematik mit all ihrer Schönheit und Anwendungsmöglichkeiten eröffnet.