Author(s): Eleanor Hayes, Marlene Rau
Übersetzt von Dorothea Zähner. Jedermann weiß, was ein Kilogramm ist – wirklich? Weltweit arbeiten Forscher daran, genau zu definieren, was diese wohlvertraute Einheit ist.
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Wie schwer ist ein Gegenstand? Wie groß ist seine Oberfläche? Welche Temperatur hat er? Diese Fragen erscheinen zwar einfach, aber die Antworten darauf ergeben nur einen Sinn, wenn dafür ein Wert und eine Einheit festgelegt wurden.
Abbildung 1: Der
internationale Prototyp für
den Meter, das Urmeter,
hergestellt aus einer Platin-
Iridium-Legierung. Dieser
Stab verkörperte die
internationale Definition des
Meters von 1889 bis 1960.
Mit freundlicher Genehmigung
des Nationale Instituts für
Standards und Technologie.
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Je verbreiteter eine Maßeinheit ist, desto besser werden ihre Maßangaben verstanden. Stellen Sie sich nur einmal vor, Sie wären heute Morgen 10 km mit dem Auto gefahren und ich wäre sieben Achtelmeilen zur Arbeit gegangen. Wer von uns hätte den längeren Weg zurückgelegt? Um Fragen wie diese beantworten zu können, wird ein international einheitliches System von Einheiten benötigt.
Die erste Einheit, die international definierte wurde, war der Meter (Abbildung 1). Darauf folgte das erste internationale Abkommen über Maßeinheiten, die sogenannte Meterkonvention, die im Jahre 1875 in Paris unterzeichnet wurde und in der die Gründung eines Internationalen Büros für Maß und Gewicht (BIPM oder Bureau International des Poids et Mesures), das noch bis heute besteht, festgeschrieben wurde.
Ursprünglich gab es nur für die Länge und die Masse festgelegte Einheiten. Das System hat sich jedoch über die Jahre weiterentwickelt und die anfänglichen Einheiten wurden um Standards für die elektrische Stromstärke, die Lichtstärke, die Temperatur, die Zeit und die Stoffmenge erweitert. Die Gesamtheit der internationalen Standardeinheiten wird als internationales Einheitensystemw1, abgekürzt SI (für Système International d‘Unités), bezeichnet.
Die Ägyptische Königliche
Elle; ein Stab als Längenmaß.
Die Ägyptische Elle, die wie
alle Ellen auf der Länge des
Unterarms basiert, war
unterteilt in sieben
Handbreiten zu jeweils vier
Fingern. Zum Vergrößern auf
die Bilder klicken
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von Bakha. Bildquelle:
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Das SI basiert auf dem metrischen System und umfasst sowohl die Basiseinheiten als auch die abgeleiteten Einheiten. Die sieben Basiseinheitenw2 definieren ein System unabhängiger Mengen und Einheiten (siehe Kasten zur Definition der SI-Basiseinheiten). Die von den SI-Basiseinheiten abgeleiteten Einheiten definieren die übrigen Zustände jeweils in Bezug zu den Basiseinheiten. Zum Beispiel ist die SI-Einheit für Kraft, das Newton, definiert als die Kraft, die benötigt wird, um einen Körper mit einer Masse von einem 1 kg mit einer Geschwindigkeit von 1 m/s2 zu beschleunigen.
Ein universelles System?
Obwohl ein universelles System klare Vorteile bietet, ist es noch ein weiter Weg, bis alle SI-Einheiten weltweit eingeführt und alle anderen Systeme verschwunden sein werden. Ursprünglich wurde das BIPM von 17 Ländern gegründet, heute gehören ihm 55 Mitgliedsstaaten an. Es gibt allerdings große Unterschiede, inwieweit die einzelnen Mitgliedsstaaten das SI übernommen haben. So sind z. B. sowohl in Großbritannien als auch in den USA Meilen, Pints und Grad Fahrenheit immer noch gebräuchlich. Zudem sind sogar in Ländern, die das metrische System vollständig übernommen haben, einige nicht SI-Einheiten wie Minuten, Tage und Stunden sowie der Hektar, der Liter und die Tonne immer noch in Gebrauch.
Der Fall des Kilogramms
Abbildung 2: Der
internationale Prototyp für
das Kilogramm: Ein Zylinder
aus einer Platin-Iridium-
Legierung, 39 mm hoch und
39 mm Durchmesser
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Das Kilogramm ist die einzige der sieben Basiseinheiten mit einer Vorsilbe („Kilo“) im Namen. Es ist zudem die letzte Einheit, die immer noch offiziell durch ein künstliches Objekt definiert ist, wohingegen alle anderen Einheiten sich von fundamentalen Konstanten oder atomaren Eigenschaften (siehe Kasten zu den Definitionen der SI-Basiseinheiten). ableiten. Der internationale Prototyp für das Kilogramm ist ein Zylinder aus einer Platin-Iridium-Legierung, der 1878 hergestellt wurde und am BIPM aufbewahrt wird (Abbildung 2).
Im Laufe der Jahre wurden mehrere offizielle Kopien des Kilogramms angefertigt und an mehrere nationale metrologische Einrichtungen verteilt (Metrologie ist die Wissenschaft von Maßen und Maßsystemen). Mit Hilfe moderner Technologie ist es heute möglich, die Masse des Prototyps und seiner Kopien mit sehr hoher Genauigkeit zu vergleichen (bis zu einem Mikrogramm). Dabei offenbarten sich allerdings erhebliche Abweichungen (Abbildung 3).
Abbildung 3: Eine
Darstellung der relativen
Masse ausgewählter
Prototypen des Kilogramms
(von Girard, 1994). Zum
Vergrößern auf die Bilder
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Es ist also höchste Zeit eine absolute Definition für das Kilogramm zu finden. Diese Neudefinition wird nicht zu einer Veränderung der Masse des Kilogramms führen, vielmehr wird sich der Weg, auf dem ein Kilogramm definiert wird, ändern: Statt der Masse eines Gegenstands in einem Pariser Tresor wird die neue Definition auf reproduzierbaren, atomaren Eigenschaften und grundlegenden Konstanten beruhen. Anhand dieser neuen Definition wird ein gut ausgestattetes Labor dann in der Lage sein, einen Gegenstand zu produzieren, der genau 1 kg wiegt, ohne dabei Bezug auf einen Prototypen nehmen zu müssen. Natürlich wird es dann auch möglich sein, Waagen sehr genau zu kalibrieren.
Darüber hinaus wird die Neudefinition des Kilogramms drei weitere Basiseinheiten beeinflussen, die vom Kilogramm abhängen: das Ampere, das Mol und die Candela (siehe Kasten zu den Definitionen der SI-Basiseinheiten).
Seit den 1990er-Jahren wurden mehrere Ansätze zur Neudefinition des Kilogramms verfolgt, von denen zwei erfolgversprechend erscheinen. Beide basieren auf einer Definition des Kilogramms anhand einer unveränderlichen natürlichen Größe: im einen Fall auf der Avogadro-Konstante, im anderen Fall auf dem Planck´schen Wirkungsquantum. Beide Ansätze beinhalten auch die Messung der entsprechenden Konstanten mit noch nie da gewesener Genauigkeit.
Definition des Kilogramms anhand der Avogadro-Konstante
Abbildung 4: Ein
Wissenschaftler am
australischen Zentrum für
Präzisionsoptik mit einer
1-kg-Siliziumkugel des
Avogadro-Projekts, einer
internationalen
Zusammenarbeit zur
Definition des Kilogramms.
Die Kugel ist eines der
rundesten künstlichen
Objekte weltweit.
Mit freundlicher Genehmigung
von CSIRO. Bildquelle:
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Das Ziel des internationalen Avogadro-Projekts ist es, das Kilogramm als die Masse einer genauen Anzahl von Atomen des Kohlenstoffisotops 12C zu definieren. Die Avogadrozahl, entsprechend ihrer aktuellen Definition, ist die Anzahl der Atome in 0,012 kg des Kohlenstoffisotops 12C. Demnach ließe sich das Kilogramm – durch entsprechende Umformung – definieren als die Masse, die eine der Avogadrozahl entsprechende Anzahl von 12C-Kohlenstoffatomen mal 1000/12 besitzt.
Um dies zu erreichen, hat sich das Projektteam zum Ziel gesetzt, die Avogadro-Konstante (NA, die, in Mol ausgedrückt, den gleichen numerischen Wert wie die Avogadrozahl hat) genauer als jemals zuvor zu bestimmen.
Das Kernstück des Projekts bildet eine fast perfekte Siliziumkugel (Abbildung 4), die basierend auf dem Platin-Iridium-Prototyp, genau 1 kg wiegt. Silizium wurde anstelle von 12C-Kohlenstoff gewählt, weil sich damit große, hochreine und fast perfekte Einzelkristalle produzieren lassen.
Für die Handhabung der
Platin-Iridium-Masse
Prototypen gelten strenge
Regeln. Zum Vergrößern auf
die Bilder klicken
Mit freundlicher Genehmigung
des Eidgenössischen Instituts
für Metrologie (METAS)
Die Wissenschaftler verwenden mehrere verschiedene Techniken, um die Distanz zwischen den Atomen (die Gitterparameter), die Kristalldichte und die mittlere molare Masse des Siliziums (das in mehreren Isotopen vorkommt) zu bestimmen. Mit Hilfe dieser Daten werden sie in der Lage sein, die Anzahl an Atomen, die in der 1 kg-Siliziumkugel enthalten sind, zu berechnen und daraus eine neue, genauere Bestimmung der Avogadro-Konstante abzuleiten. Diese könnte dann für eine Neudefinition des Kilogramms verwendet werden (Andreas et al., 2011; Becker et al., 2003):
1 kg = Atommasse von 12C x 0,0012 . NA
Definition des Kilogramms anhand des Planck’schen Wirkungsquantums
Der zweite Ansatz zur Definition des Kilogramms verwendet eine sogenannte Watt-Waagew3, w4. Die Watt Waage, die mechanische und elektrische Energie zueinander in Beziehung setzt, wurde 1975 erfunden und in den 1980-Jahren dazu verwendet, um anhand der Massebestimmung des Platin-Iridium-Prototyps des Kilogramms das Planck’sche Wirkungsquantum genauer zu bestimmen. Die Wissenschaftler erkannten dann, dass man im Umkehrschluss die gleiche Vorrichtung zur Neudefinition des Kilogramms verwenden könnte.
Die von METAS zur Messung
des Planck’schen
Wirkungsquantums gebaute
Watt-Waage. Eine neue
Waage wird derzeit
entwickelt.
Mit freundlicher Genehmigung
des Eidgenössischen Institut
für Metrologie (METAS)
Derzeit gilt für das Planck’sche Wirkungsquantum:
h = 6,626 068 96 · 10-34 kg m2 s-1
Die Werte von Fundamentalkonstanten, wie dem Planck’schen Wirkungsquantum, sind naturgemäß unveränderlich. Allerdings hängen ihre numerischen Werte (z. B. 6,626 068 96 · 10-34) von den Einheiten (z. B. kg, m, und s) ab, in denen sie ausgedrückt werden. Entsprechend führt die genauere Bestimmung des numerischen Wertes zur exakteren Definition der Einheiten. Im Falle des Planck’schen Wirkungsquantums sind der Meter und die Sekunde bereits als SI-Einheiten definiert. Wie die oben aufgeführte Gleichung zeigt, wird eine exaktere Messung der Masse des Pariser Kilogrammprototyps – ermöglicht durch eine verbesserte Watt-Waage – eine genauere Bestimmung von h als jemals zuvor erlauben. Wenn dieser Wert erst einmal ermittelt sein wird, dann wird das Kilogramm anhand von h, m und s, unabhängig vom Prototyp definiert werden können.
Gründliche Reinigung eines
Masse-Prototyps mit
Niedrigdruckplasma
Mit freundlicher Genehmigung
des Eidgenössischen Institut
für Metrologie (METAS)
Weltweit arbeiten mehrere metrologische Institute an der Entwicklung immer genauerer Watt-Waagen. Ein vom Eidgenössischen Institut für Metrologie (METAS) geleitetes Projekt, an dem auch das CERN (siehe Kasten) beteiligt ist, entwickelt einen Magnetenw3, der für den Betrieb der Waage von entscheidender Bedeutung ist. Das Ziel aller Watt-Waagen-Projekte ist eine Neudefinition der Einheit der Masse, vorläufig bekannt unter der Bezeichnung „elektronisches Kilogramm“, bei der die Ungenauigkeit der Versuchsdurchführung ≤ 5 · 10-8 beträgt. Aufgrund der erforderlichen Genauigkeit der Messungen und der Komplexität der Geräte ist dies allerdings keine einfache Aufgabe.
Der Ausblick
Welcher der beiden Ansätze wird denn nun für die Neudefinition des Kilogramms verwendet werden? Bei der 24. Generalkonferenz für Maß und Gewicht 2011 wurde vorgeschlagen, dass die Definition, die auf dem Planck’schen Wirkungsquantum beruht, verwendet werden sollte. Sollte der Vorschlag angenommen werden, wäre damit aber auch die Arbeit zur Avogadro-Konstante nicht umsonst gewesen, da sie zur Neudefinition des Mols verwendet werden kannw5. Zudem bietet sie eine alternative Methode das Planck’sche Wirkungsquantumw6 zu bestimmen und trägt dabei indirekt zur Definition des Kilogramms bei. Aber dies ist ein Thema für sich.
Danksagung
Die Autoren bedanken sich bei Simon Albers, Physiker am European Molecular Biology Laboratory, für seine hilfreichen Kommentare zu diesem Artikel.
References
Web References
Institutions
Author(s)
Dr. Eleanor Hayes ist Chefredakteurin bei Science in School. Sie hat an der Oxford University, UK, Zoologie studiert und einen Doktorgrad in Insektenökologie erworben. Nachdem sie einige Zeit in der Universitätsverwaltung gearbeitete hat, zog sie 2001 nach Deutschland und wechselte ins wissenschaftliche Verlagswesen. 2005 wechselte sie zum European Molecular Biology Laboratory und begann die Herausgabe von Science in School.
Dr. Marlene Rau wurde in Deutschland geboren und ist in Spanien aufgewachsen. Nachdem sie ihren Doktorgrad in Entwicklungsbiologie am European Molecular Biology Laboratory erhielt, studierte sie Journalismus und ist nun im Bereich Wissenschaftskommunikation tätig. Seit 2008 arbeitet sie als Redakteurin für Science in School.
Review
Dieser Aufsatz zeigt die herausragende Bedeutung und Verwendung von internationalen Standardeinheiten. Er bietet sich sehr gut für Physik- oder Chemie-Einführungskurse an, aber auch für nicht naturwissenschaftliche Fächer wie Sprachen und Geschichte, um damit die Bedeutung bestehender Konventionen und deren Einhaltung zu verdeutlichen (z. B. Grammatik).
Um die Schüler zum Nachdenken über die in dem Aufsatz dargestellten Zusammenhänge anzuregen, könnten ihnen vor dem Lesen folgende Fragen gestellt werden:
- Braucht man standardisierte Maßeinheiten in den Naturwissenschaften?
- Wann wurde das internationale Einheitensystem eingeführt?
- Was würde passieren, wenn Wissenschaftler keine Standardeinheiten verwenden würden?
- Kennen Sie ein dem internationalen Einheitensystem entsprechendes System in einem nicht naturwissenschaftlichen Fach wie Deutsch, Geschichte oder Kunst?
Da der Beitrag Daten zur historischen Entwicklung des internationalen Einheitensystems enthält, könnte er als Grundlage für eine Diskussion über Wissenschaftsgeschichte – einer an weiterführenden Schulen wenig behandelten Thematik – verwendet werden. Darüber hinaus könnten diese geschichtlichen Details auch Schüler, die sonst wenig Interesse an naturwissenschaftlichen Aufsätzen haben, zum Lesen dieses Artikels anregen.
Mireia Güell Serra, Spain
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