Author(s): Andreas Chiocchetti
Übersetzt von Andreas Chiocchetti. Die genetische Forschung im Bereich des Autismus-Spektrums erweitert unser Wissen über diese Erkrankung und könnte so zu verbesserten Diagnose- und Behandlungsmethoden führen.
Mit freundlicher Genehmigung
von Norma Desmond;
Bildquelle: Flickr
Das erste Mal hatte ich im Sommer 2004 mit Autismus zu tun, als ich Betreuer in einem Kindercamp war. In diesem Jahr fiel mir ein Junge besonders auf. Sein Name war Peter, aber alle nannten ihn “Der Professor”. Peter wusste und las sehr viel, wodurch die anderen ihn für ein Genie hielten. Er hatte jedoch große Schwierigkeiten Freunde zu finden und spielte die meiste Zeit alleine.
Als den Betreuern bewusst wurde, dass Peter die meisten Witze nicht verstand, niemanden in die Augen schaute oder als sich drüber aufregte nicht am selben Stuhl sitzen zu dürfen wie immer, begann sie sich zu sorgen. Daraufhin äußerte unser Heimleiter den Verdacht, dass Peter Autist sein könnte. Seine Eltern gaben schließlich zu, dass bei Peter ein Asperger Syndrom diagnostiziert wurde, sie dies aber verheimlicht hatten, da Peter so glücklich darüber war mit ins Camp fahren zu dürfen. „Der Professor“ blieb bis zum Ende des Camps bei uns und wir alle lernten viel durch und von ihm.
Das Asperger-Syndrom gehört zu einer Gruppe von ähnlichen Störungen
Meine Erlebnisse mit Peter weckten in mir den Drang die biologischen Ursachen des Asperger-Syndroms zu verstehen und zu erforschen. Dieses wird neben zwei weiteren Störungen mit ähnlichen, aber dennoch unterschiedlichen Symptomen zu den Autismus-Spektrumsstörungen (ASS) gezählt (siehe Infobox über Autismus-Spektrumsstörungen). ASS beginnt in der frühen Kindheit und bleibt bis ins Erwachsenenalter bestehen. Manchmal wissen Betroffene nicht, dass sie diese Störung haben. Die häufigsten Symptome sind fehlender Augenkontakt, Schwierigkeiten Beziehungen zu erhalte und oft in Kombination mit Lernschwierigkeiten (Abbildung 1). Für Betroffene ist es meist schwierig sich in unsere Gesellschaft zu integrieren oder eigenständig zu leben.
Abbildung 1: Autismus-Spektrumsstörungen (englisch ‚autism spectrum disorders’, ASD) sind durch Störungen in der sozialen Kommunikation und im Verhalten gekennzeichnet und von einer Vielzahl von Symptomen begleitet. Zum Vergrößern auf das Bild klicken
Mit freundlicher Genehmigung von Andreas Chiocchetti.
Diese Schleife steht für das
Bewusstsein für Autismus.
Das Puzzlemuster
symbolisiert die Komplexität
des Autismusspektrums
Mit freundlicher Genehmigung
von Melesse; Bildquelle:
Wikimedia Commons
ASS haben sowohl genetische als auch umweltbedingte Ursachen
Die Häufigkeit von ASS liegt in der normalen Bevölkerung bei rund 1% und steigt zurzeit an, hauptsächlich bedingt durch ein erhöhtes Bewusstsein und breiteren Diagnosekriterien. Der genetische Hintergrund wird bei ASS auf 80% geschätzt (siehe Infobox über die Erblichkeit von ASS). Genetiker vermuten, dass ASS eher durch eine Kombination aus verschiedenen Veränderungen in verschiedenen Genen, als durch eine einzelne Mutation oder Genvariante ausgelöst werden kann.
Wenn bei ASS 80% genetisch beding sind, so können die anderen 20% nur durch umweltbedingte Faktoren erklärt werden. Bisher konnte nur für einige wenige Umweltfaktoren bewiesen werden, dass sie das Risiko für ASS erhöhen. Dazu gehören ein fortgeschrittenes Alter der Eltern oder eine Infektion mit Röteln während der Schwangerschaft. Entgegen der (in Großbritannien) weit verbreiteten Schreckensmeldungen, gibt es aber keinen Beweis, dass Impfungen das Risiko für ASS erhöhen würdenw1, w2.
Ein anderer Risikofaktor für ASS ist das Geschlecht: Jungen werden viermal häufiger mit ASS diagnostiziert als Mädchen. Wahrscheinlich liegen einzelne Risikofaktoren auf dem X-Chromosom (von diesem haben männliche Personen nur eine Kopie, was bedeutet, dass sie keine zweite gesunde Kopie haben, um den Defekt auszugleichen) oder sie liegen in Genen die während der männlichen Entwicklung aktiviert werden.
Manche anderer Störungen wie das Fagile-X-Syndrom zeigen ähnliche Symptome wie ASS: rund 50% der Personen mit Fragilem-X haben autistische Züge. Es ist bekannt, dass Fragile-X-Patienten eine Mutation auf dem FMR1 Gen haben, was zu einer Veränderung eines Proteins führt welches für eine normale Gehirnfunktion essenziell ist.
ASS sind an synaptische
Plastizität gekoppelt, die
wesentlich ist für Lernen,
Erinnerungsvermögen,
emotionales Erkennen und
Sprachgebrauch
Mit freundlicher Genehmigung
von illuminaut; Bildquelle:
Flickr
ASS stehen im Zusammenhang mit synaptischer Plastizität
Die genetische Forschung bei ASS sucht nach Variationen, die mit ASS zusammenhängen. Forscher genotypisieren hierzu Betroffene und deren Eltern um Vererbungsmuster von Allelen mit hohem Risiko zu identifizieren. Meine Kollegen und ich vergleichen hierbei auch die DNS von Gesunden und von Personen mit ASS Diagnose.
Studien haben verschiedene seltene Mutationen und Einzelnukleotidpolymorphismen (SNP, die etwas häufiger sind; siehe Infobox) identifiziert, die mit ASS im Zusammenhang stehen. Genetiker haben auch herausgefunden, dass in ASS Genkopievarianten (GKV; siehe Infobox zu genetischen Veränderungen) häufiger eine kodierende Region auf der DNA betreffen als in der allgemeinen Population.
Durch die Analyse von Proteinen, die von diesen Genen kodiert werden, konnten wir zeigen, dass diese für den Energiehaushalt, die Proteinsynthese und die Signalübertragung in Neuronen wichtig sind. Es scheint als würden alle diese Varianten jene Fähigkeit beeinflussen, die es Gehirnzellen ermöglicht neue Verbindungen zu schaffen und zu erhalten. Dieser Prozess, den man als synaptische Plastizität bezeichnet, ist ausschlaggebend für Lernen, Erinnerung, Erkennung von Emotionen und der Verwendung von Sprache.
Eine Nervenzelle (grün
gefärbt) in Gewebekultur.
Mutationen, die mit ASS
verbunden sind schienen die
Fähigkeit des Gehirns zu
beeinflussen, Verbindungen
aufzubauen und zu erhalten
Mit freundlicher Genehmigung
von GerryShaw; Bildquelle:
Wikimedia Commons
Eine genetische Diagnose schafft Hoffnung für eine bessere Behandlung
Zurzeit wird ASS diagnostiziert, indem man den Eltern Fragen stellt, oder den von ASS Betroffenen beobachtet. Die Diagnose kann durch die persönliche Befangenheit der Eltern oder des Psychiaters beeinflusst werden. Zusätzlich nimmt dieser Prozess sehr viel Zeit in Anspruch. Deshalb braucht es ein objektives und verlässliches Instrument zur Diagnose.
Das Wissen über Gene oder genetische Variationen, welche für ASS verantwortlich sind, ermöglicht es neue diagnostische Instrumente zu entwickeln. Das Verständnis über die beteiligten molekularen Mechanismen könnte auch die Entwicklung neuer Medikamente und Behandlungsmethoden ermöglichen.
Mein persönliches Anliegen diese Forschung zu betreiben, besteht darin den biologischen Hintergrund der ASS zu verstehen um diesen so für Patienten und das breite Publikum zugänglich zu machen um letztendlich die Vorurteile die mit der Störung verbunden sind zu reduzieren.
Web References
Resources
- Dieser Roman ist aus der Sicht eines Jungen mit Aspergersyndrom erzählt:
-
Hadden M (2006) Supergute Tage oder die sonderbare Welt des Christopher Boone. München, Deutschland: Karl Blessing Verlag. ISBN: 3570302962
-
Hadden M (2004) The Curious Incident of the Dog in the Night-Time. London, UK: Random House. ISBN: 9781400032716
- Freunde der Romane von Jane Austen werden diese Studie faszinierend finden:
- ASS aus der Sicht eines Sonderschulpädagogen:
- Kapitel 16 von Bad Science behandelt die Schreckensmeldungen zum Thema Masern-Mumps-Röteln-Impfung in Großbritannien:
- Der Animationstrickfilm Mary and Max (2009, Regie: Adam Elliot; Australia ) erzählt von der kuriosen und bewegenden Geschichte zweier ungleicher Brieffreunde: Mary und der autistische Max.
- Die autistische Hauptfigur Raymond aus dem Film Rain Man von 1988 basiert auf einer reellen Person.
- Wenn Sie um Schüler, Familienmitglieder oder Freunde besorgt sein sollten, so ist es ratsam mit einem Arzt oder einem Psychiater darüber zu sprechen. Man sollte sich nicht auf Eigen-Diagnose und Web-basierte Diagnosefragebögen verlassen, da sehr viel fehlerhafte Information im Internat zu finden ist.
- Die folgenden Internetseiten könnten dennoch hilfreich sein:
- Leser, die sich für die Primärliteratur interessieren, finden vielleicht folgende Artikel hilfreich:
Author(s)
Dr Andreas Chiocchetti wurde in Südtirol, Italien, geboren und ist Leiter des Molekularbiologischen Labors in der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters am Zentrum für Kinder- und Jugendpsychiatrie des Universitätsklinikums in Frankfurt am Main, Deutschland. Dort konzentriert sich seine Forschung auf die Charakterisierung genetischer Veränderungen bei Kindern und Familien mit psychiatrischen Störungen wie z.B. Aufmerksamkeitsdefizit- / Hyperaktivitätsstörung und ASS. 2007 schloss er sein Studium der Biotechnologie und Genetik an der Universität Salzburg in Österreich ab, und promovierte dann am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg, Deutschland, über proteomische Biomarker bei ASS.
Review
Dieser informative Artikel gibt einen Einblick in die Autismuspektrumsstörungen (ASS) und ihre Unterscheidungsmerkmale. Er ist eine hilfreiche Informationsquelle für alle Lehrer, die Schüler mit ASS unterrichten; um die genetischen Mutationen zu verstehen, die mit ASS assoziiert sind; und als ein Beispiel dafür wie Genetik und Umwelt den Phänotyp beeinflussen können.
Dieser Artikel könnte im Biologieunterricht zum Thema Hirn und Verhalten oder bei Diskussionen über synaptische Plastizität eingesetzt werden. Sinnvolle Verständnisfragen sind z.B.:
- Wie zeigen Studien, dass Autismus zu weiten Teilen erblich ist??
- Was sind Risikofaktoren für Autismus?
- Welche Art von genetischen Veränderungen sind mit Autismus verbunden?
Shaista Shirazi, Großbritannien
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