Übersetzt von Katharina Nöske.
Die leuchtenden Gelbtöne auf van Goghs Bildern werden zu einem hässlichen Braun. Andrew Brown zeigt, wie hochentwickelte Röntgentechnik, zur Verfügung gestellt von der Europäischen Synchrotronstrahlenquelle in Grenoble, Frankreich, erklären kann warum.
Van Goghs (1853-1890) Auswahl an lebhaften und oft unrealistischen Farben, die Stimmung und Gefühl ausdrücken, war, zusammen mit seinem ausgedehnten Pinselstrich, ausschlaggebend für seinen einmaligen Stil, welcher starken Einfluss hatte auf die Entwicklung der modernen Malerei. Die neue Generation von Pigmenten im 19. Jahrhundert ermöglichte es van Gogh beispielsweise das satte Gelb seiner gefeierten Sonnenblumen zu kreieren. Diese bemerkenswerten Farbtöne, die er in vielen seiner Arbeiten verwendete, enthielten eines der neuen Pigmente, genannt Chromgelb.Unglücklicherweise hat sich das Chromgelb, mehr als 100 Jahre, nachdem es van Goghs Pinsel verließ, an manchen Stellen zu einem wenig ansehnlichen Braun verdunkelt, ein Phänomen, das kürzlich die Aufmerksamkeit einer Gruppe von Wissenschaftlern erregte.
Mit freundlicher Genehmigung von Van Gogh Museum, Amsterdam
Ein internationales Team unter der Leitung von Koen Janssens von der Universität Antwerpen glaubt, dass chemische Veränderungen des Chromgelb (PbCrO4 · xPbO), verursacht durch ultraviolette (UV) Strahlung, für die Farbveränderung verantwortlich sind (Monico et al., 2011). Die Verdunkelung des Pigments im Sonnenlicht ist seit seiner Erfindung bekannt. Studien der 1950er zeigten, dass sie bedingt ist durch die Reduktion von Chrom von Cr(VI) zu Cr(III) (siehe Abbildung 1, unten). Bis heute war der genaue Mechanismus jedoch unbekannt und die Abbauprodukte waren nicht charakterisiert.
Um diese Unbekannten zu untersuchen, begann Janssens’ Team damit, Proben von Farbtuben zu sammeln, die einem Zeitgenossen van Goghs gehört hatten, dem flämischen Maler Rik Wouters (1882-1913). Einige Tuben enthielten ungemischte Chromgelbfarbe, andere enthielten Farben von hellerem Gelb, hergestellt durch das Vermischen von Chromgelb mit einer weißen Substanz. Die Wissenschaftler ließen die Proben künstliche unter UV-Licht altern und erwarteten eine Farbveränderung nach mehreren Monaten. Zu ihrer Überraschung hatte sich bereits nach drei Wochen eine dünne Schicht an der Oberfläche der helleren gelben Farbe erheblich zu einem Schokoladenbraun verdunkelt. Die ungemischten Proben veränderten sich entweder vergleichsweise wenig oder gar nicht. „Wir waren verblüfft“, sagt Janssens.
Nachdem das Team die Probe identifiziert hatte, die am wahrscheinlichsten die fatalen chemischen Reaktionen durchläuft, führten sie anspruchsvolle Analysen auf der Basis von Röntgenstrahlen durch. Ein Großteil der Arbeit wurde an der Synchrotronstrahlenquelle (European Synchrotron Radiation Facility ESRF)w1 in Grenoble, Frankreich, durchgeführt, wo zwei Methoden, XRF und XANES, benutzt wurden um mit extremer Empfindlichkeit die räumliche Verteilung und den Oxidationszustand der einzelnen Elemente in den Farbproben aufzuspüren (siehee Box).
Analysen haben gezeigt, dass die Verdunkelung der dünnen Oberflächenschicht mit der Reduktion von Chrom von Cr(VI) zu Cr(III) im Chromgelb zusammenhängt; das passt zu den Beobachtungen, die zu Industriefarben auf der Basis von Bleichromat gemacht wurden. Darüber hinaus wurde das Cr(III)-haltige Abbauprodukt zum ersten Mal als Cr2O3 · 2H2O identifiziert, besser bekannt als das Pigment Viridiangrün. Aber wie kann die Anwesenheit eines grünes Pigments die braune Verfärbung erklären, die in den Versuchen der Forscher beobachtet wurde? Die Wissenschaftler vermuten, dass das reduzierte Chrom im Viridiangrün während der Oxidation von Ölkomponenten der Farbe entsteht. Diese oxidierte Form des Öls könnte, zusammen mit der Mischung aus Grün und den verbleibenden gelben Pigmenten, die Ursache für die braune Färbung sein.
Mithilfe der Strahlenmethode konnten die Wissenschaftler ebenfalls zeigen, dass die gemischte, hellere Farbe Schwefelverbindungen enthielt. Sie folgerten, dass diese Verbindungen irgendwie in der Reduktion des Chroms involviert waren, was erklären würde, warum es relativ wenig Verfärbungen in den ungemischten Farbproben gab.
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Mit freundlicher Genehmigung
von the Van Gogh Museum,
Amsterdam
Nachdem sie die Chemie der Reaktion in isolierten Farbproben aufgedeckt hatten, wollten die Forscher herausfinden, ob die Verdunkelung auf der oberflächlichen Gelbschicht auf zwei von van Goghs Gemälden, Blick auf Arles mit Iris im Vordergrund (1888) und Seineufer (1887), dem gleichen Phänomen zugeschrieben werden konnte.
Mithilfe von Röntgenfluoreszenzanalyse (englisch X-ray fluorescence spectroscopy, XRF spectroscopy) wurde die Chemie der Region erfasst, die die Grenze zwischen der dunklen Oberfläche und der darunterliegenden unveränderten gelben Schicht umgibt. Röntgen-Nahkanten-Absorptions-Spektren (englisch X-ray absorption near-edge structure spectroscopy, kurz XANES-Spektrokopie) wurden an bestimmten Punkten in dieser Region gesammelt. Die Ergebnisse bestätigten die der vorhergehenden Experimente: die reduzierte Form des Chroms, Cr(III), wurde in der dunkleren Oberflächenschicht gefunden, was nahelegt, dass sie für die braune Färbung verantwortlich ist. Des Weiteren war das Cr(III) nicht gleichmäßig verteilt, sondern kam an Stellen vor, die auch Sulfat- und Bariumverbindungen aufwiesen.
Chemisch gesehen ähnelten diese Regionen den hellgelben Farbproben der früheren Experimente, was die Vermutung der Forscher stützt, dass Schwefelverbindungen an der Reduktion von Chrom beteiligt sind (siehe Gleichung unten). Wegen seiner weißen Farbe mischte van Gogh Pulver, das solche Verbindungen enthielt, mit Chromgelb, um die helleren Farbtöne zu erzeugen, die so unerlässlich waren für die Erschaffung der hell erleuchteten Szenen, die charakteristisch für eine bestimmte Phase seines Lebens waren.
Eine wichtige Frage blieb offen: wie funktioniert der vermutete Auslöser für die Reaktion, UV-Licht? Vereinfacht gesagt, versorgt es die Reaktionspartner mit der Energie, die sie brauchen, um die Grenze der Aktivierungsenergie zu überschreiten, sodass die Reaktion fortlaufen kann (siehe Abbildung 6, unten).
Janssens’ Team hat die Chemie untersucht, die für die Verfärbung von van Goghs Gemälden verantwortlich ist. Aber können wir dieses Wissen nutzen, um die Arbeit des Künstlers zu retten? Ella Hendriks vom Van Gogh Museumw3 in Amsterdam, Niederlande, hat ihre Zweifel: „Ultraviolettes Licht…wird in modernen Museen bereits herausgefiltert. Wir stellen die Gemälde in einer kontrollierten Umgebung aus, um sie im bestmöglichen Zustand zu erhalten.“ Ein Teil dieser kontrollierten Umgebung ist die niedrige Temperatur im Museum. Allgemein gilt, dass ein Temperaturanstieg von 10°C die Reaktionsrate um einen Faktor von 2-4 erhöht, und die Reduktion von Chrom macht da keine Ausnahme.
Wenn also sowohl das UV-Level als auch die Temperatur bereits kontrolliert werden, was kann man dann noch für die van Gogh-Bilder tun? Es gibt eine radikalere Alternative: Anstatt den Degradationsprozess zu verlangsamen, ihn ganz umzukehren. „Unsere nächsten Experimente sind schon in Vorbereitung“, sagt Janssens. „Wir wollen natürlich herausfinden, welche Bedingungen die Reduktion von Chrom begünstigen und ob es Hoffnung gibt, die Pigmente in ihren ursprünglichen Zustand auf den Bildern zurückzuversetzen.“w4
Auch wenn es die beste Lösung wäre, die Zeit auf diese Weise zurückzudrehen, gibt Janssens zu, dass die Aussicht, die Pigmente wieder zu ihrer ursprünglichen Farbe zurückzubringen, momentan eher unwahrscheinlich ist. Nichtsdestotrotz versichert uns die Arbeit der Wissenschaftler, dass wir alles in unserer Macht stehende tun, um van Goghs Gemälde zu erhalten in der Hoffnung, dass zukünftige Generationen sich an dem erfreuen können, was dieser großartige Künstler erschaffen hat.
Die chemische Charakterisierung wertvoller Kunstwerke kann problematisch sein. Man kann nur sehr wenige kleine Proben für die Analyse nehmen, und diese bestehen oft aus einer Mixtur komplexer Verbindungen in heterogenem Zustand der Materie. Um diese Schwierigkeiten zu überwinden, verwenden Wissenschaftler Methoden auf Basis von Röntgenstrahlen. Je stärker und präziser die Röntgenstrahlen sind, umso besser ist die Qualität der Analyse. Die potentesten Röntgenstrahlen werden von einer Synchrotronstrahlenquelle produziertw2 (siehe Abbildung 2, unten). In dieser Studie wurden zwei spektroskopische Methoden auf den Farbproben angewandt: XRF und XANES.
XANES Spektroskopie beruht auf der Physik der Röntgenstrahlungsabsorption. Atome eines bestimmten Elements absorbieren Röntgenstrahlung auf charakteristische Weise. Daher kann man durch den Blick auf ein Röntgenabsorptionsspektrum, welches die Röntgenstrahlungsabsorption (Y-Achse) gegen den Energieumfang der Strahlung (X-Achse) darstellt, die einzelnen Elemente einer Probe identifizieren. Hochauflösende Röntgenstrahlungsabsorptionsspektren werden typischerweise in bestimmten Energieregionen (genannt XANES) gesammelt, die nahe einer Absorptionskante eines Elements von Interesse liegen (siehe Abbildung 3, unten und 4). Solche detaillierten Spektren können zeigen, in welchem Oxidationszustand sich das entsprechende Element befindet. Diese Information war von großem Interesse für die Forscher.
Mit freundlicher Genehmigung von Nicola Graf
Atome treten in einen angeregten, unstabilen Zustand, wenn sie Röntgenstrahlung absorbieren. Wenn sie dann in eine stabileren Zustand zurückkehren, geben sie sekundäre Röntgenstrahlen ab, ein Prozess, den man Röntgenfluoreszenz nennt (siehe Abbildung 5). Das Muster der Röntgenfluoreszenz (XRF für englisch X-ray fluorescence), das eine bestimmte Probe erzeugt, genannt XRF-Spektrum, kann man nutzen, um die Verteilung von Elementen in einer bestimmten Region zu bestimmen. Im Gegensatz dazu kann XANES nur an einem ausgewählten Punkt auf der Probe genutzt werden. Durch die Kombination von XRF und XANES waren die Wissenschaftler in der Lage, detaillierte Bilder der chemischen Zusammensetzung der Farbproben zu erstellen.
Mit freundlicher Genehmigung von Nicola Graf
Was denken Sie und Ihre Schüler? Sollte die Wissenschaft dazu genutzt werden, die Degeneration wichtiger Kunstwerke aufzuhalten oder sie gar wieder in ihren Originalzustand zu versetzen?