Gute Schwingungen: Wie man eine Gravitationswelle einfängt Understand article

Übersetzt von Silvia Seidlitz. Gravitationswellen gehören zu den subtilsten Informationsträgern, die uns aus dem Kosmos erreichen. Aber wie können ihre infinitesimalen Auswirkungen gemessen werden?

Künstlerische Darstellung
zweier schwarzer Löcher,
welche sich spiralförmig
aufeinander zubewegen,
bevor sie miteinander
verschmelzen und dabei
Gravitationswellen freisetzen.

Abbildung mit freundlicher
Genehmigung der ESA / C
Carreau

Im Jahr 2015 gelang es endlich, die unglaublich schwachen Signale einer sich über den Kosmos ausbreitenden Gravitationswelle zu detektieren. Nachdem Gravitationswellen bereits ein Jahrhundert zuvor durch Albert Einstein vorhergesagt wurden, markiert diese Erstmessung den Höhepunkt von jahrzehntelanger, experimenteller und theoretischer Forschung – sowie den Beginn einer spannenden, neuen Ära in der Kosmologie.

Aber was sind Gravitationswellen und wieso war deren Detektion eine so große Herausforderung? Gravitationswellen sind Krümmungen in der Raum-Zeit, die bei der Beschleunigung einer Masse entstehen. Damit handelt es sich um das Gravitationsäquivalent zu elektromagnetischen Wellen – und Gravitationswellen breiten sich, ebenso wie elektromagnetische Wellen, mit der Lichtgeschwindigkeit aus.

Der Grund dafür, dass Gravitationswellen so schwer detektierbar sind, liegt in der enormen Schwäche ihrer Auswirkungen: selbst ein so enormes Ereignis wie die Kollision zweier (ferner) schwarzer Löcher, wie es bei den Erstdetektionen 2015 der Fall war, verursacht lediglich eine schwache Störung der Raum-Zeit. Eine Störung der Raum-Zeit bedeutet, dass sich die Distanz zwischen zwei festen Punkten auf der Erde beim Durchgang einer Gravitationswelle verändert. Allerdings erfolgt diese Änderung lediglich in einem Faktor von 10-21  – das ist vergleichbar mit einer Änderung des Abstandes zwischen Erde und Sonne um den Durchmesser eines Atoms. Diese Längenänderung zu messen ist also eine ziemliche Herausforderung.

Seit Beginn der 1960er Jahre haben sich Physiker, Ingenieure und Techniker aus aller Welt der Herausforderung gestellt und ein paar wenige, riesige Aufbauten zur Detektion von Gravitationswellen entwickelt, darunter  LIGOw1, Virgow2 und GEO600w3. In diesem Artikel fokussieren wir uns auf Virgo (in Italien), aber die Konzepte sind auf alle anderen Aufbauten übertragbar. Diese sind Teil eines internationalen Netzwerkes, welches leistungsfähiger ist als ein einzelner, individueller Detektor. Tatsächlich wurde die Analyse der ersten Detektionen von 2015 in Kollaboration von LIGO und Virgo Wissenschaftlern gemeinsam durchgeführt.

Die Messungen mit Licht

Die Konzeption von Virgo basiert auf dem Aufbau eines Michelson Interferometers, welches selber eine berühmte Historie besitzt: erstmalig wurde der Aufbau im Jahr 1887 von den Physikers Albert Michelson und Edward Morley eingesetzt, um ihre Hypothese eines Ethers durch eine Messung der Änderung der Lichtgeschwindigkeit zu überprüfen (Abbildung 1).
 

Abbildung 1: Das Michelson Interferometer – der dem Virgo Gravitationswellendetektor zugrunde liegende Aufbau. 1: Lichtquelle; 2: Strahlteiler; 3: Lichtstrahlen im rechten Winkel zueinander; 4: Spiegel, um die Lichtstrahlen entlang des selben Weges zurück zu reflektieren; 5: die zurückkehrenden Strahlen wurden am Strahlteiler überlagert; 6: Detektor
Abbildung mit freundlicher Genehmigung von LIGO / T Pyle
 

In dem Aufbau wird das Licht einer einzelnen Quelle durch einen Strahlteiler in zwei, sich im rechten Winkel voneinander fortbewegende Lichtstrahlen aufgespalten. Die Strahlen werden von Spiegeln zurückreflektiert, sodass sie nach erneuter Passage des Strahlteilers wieder überlagert sind. Tritt eine Änderung in der Länge eines der beiden Strahlengänge zwischen Strahlteiler und Spiegel auf (wie beispielsweise infolge einer Gravitationswelle), so erzeugt die minimale Änderung in der Lichtlaufzeit eine Phasenverschiebung des einen Lichtstrahls relativ zum anderen. Diese Phasenverschiebung beeinflusst die Wechselwirkung der überlagerten Strahlen und damit die am Ausgang des Detektors gemessene Leistung.

Doch obwohl dieser klassische Aufbau mit neuester Technologie kombiniert wird, sind die experimentellen Herausforderungen der Detektion von Gravitationswellen erheblich.

Virgo: Wie die Herausforderungen bewältigt wurden

Um die extremen Anforderungen an Stabilität und Präzision des Aufbaus zu erfüllen, musste der grundlegende Aufbau des Michelson Interferometers deutlich größer und komplexer werden.

Lange Arme

Jeder der beiden Arme des Virgo Detektors (der Strahlengang zwischen Strahlteiler und Spiegel) ist ganze drei Kilometer lang. Diese enorme Länge ist nötig, da der Laufzeitunterschied zwischen den beiden Strahlen mit der Armlänge wächst. Längen oberhalb von drei Kilometern sind jedoch kaum realisierbar, da die Krümmung der Erdoberfläche den Bau perfekt gerader Arme erschwert.

Um Wechselwirkungen zwischen den Photonen der Lichtstrahlen und Gasmolekülen zu verhindern, muss das Innere der Arme auf ein 10-12-tel des Atmosphärendrucks evakuiert werden. Dies entspricht in etwa dem Druck im Weltall auf Höhe der internationalen Raumstation ISS. Damit sind die beiden Virgo Arme Europas größte Räume mit Ultrahochvakuum (siehe Abbildung 2). Die Wand am Ende jeden Armes wird durch flüssigen Stickstoff auf tiefkalte Temperaturen gekühlt, um verbleibende Moleküle (z.B. Wasser) abzufangen.
 

Abbildung 2: Das Innere eines Virgo Armes mit seinen Vakuumröhren
Abbildung mit freundlicher Genehmigung von Cyril Fresillon / Virgo / CNRS Photothèque

Regungslose Spiegel

Die in Virgo verbauten Spiegel sind ein wesentlicher Bestandteil des Gravitationswellendetektors und wurden daher mit höchster Präzision gefertigt: Ihre Oberflächen wurden bis auf den Nanometer genau glatt poliert und spezielle Beschichtungen optimieren die Reflexions- und Transmissionseigenschaften der Spiegel, sodass Leistungsverluste der Lichtstrahlen auf einige Millionstel minimiert werden. Darüber hinaus ist die Anordnung der Spiegel um einiges komplizierter als im Michelson Interferometer, denn sie werden eingesetzt, um zusätzlich optische Resonatoren zu formen, die der Lichtstrahl durchläuft, oder eine ‚Reinigung‘ des Lichtstrahls zu bewirken (siehe Abbildung 3).

Virgo’s Spiegel verwenden nämlich einen Trick, um die Lichtwege länger wirken zu lassen, als sie eigentlich sind: in jedem der Arme wurde ein Fabry-Pérot-Resonator installiert, welcher den Lichtweg um einen Faktor von etwa 300 verlängert und damit den Laufzeitunterschied – sowie in der Folge die Empfindlichkeit des ganzen Detektors – um einen ähnlichen Faktor verbessert.

Abbildung 3: Die optische Anordnung des Virgo Gravitationswellendetektors (eine komlexere Version des Michelson Interferometers), inklusive der Strahlengänge. 1: Lichtquelle; 2: Spiegel zur Rückgewinnung der Lichtleistung; 3: Strahlteiler; 4: Fabry-Pérot-Resonatoren innerhalb der Vakuumröhren; 5: nördlicher Einlassspiegel; 6: nördlicher Endspiegel; 7: westlicher Einlassspiegel; 8: westlicher Endspiegel; 9: Detektor
Abbildung mit freundlicher Genehmigung der Virgo Kollaboration

Isolation von Erschütterungen

Da Virgo ausreichend empfindlich sein muss, um die minimalen Veränderungen der Lichtlaufwege durch Gravitationswellen zu detektieren, ist eine bestmögliche Isolation von Störungen der Umgebung nötig – wie beispielsweise menschlichen Aktivitäten, Stürmen, etc. Während der Detektor so entworfen wurde, dass er von diesen Einflüssen isoliert ist, liegt das Hauptproblem in den Spiegeln, welche das Laserlicht reflektieren. Diese sind mit dem Untergrund verbunden, sodass sich dessen kontinuierliche Bewegungen übertragen. Zwar sind diese Bewegungen zu schwach, um von uns wahrgenommen zu werden, sie sind aber dennoch um ein Vielfaches stärker als die Veränderungen durch Gravitationswellen.

Daher müssen die Spiegel vom Untergrund isoliert werden. Dieses Kunststück gelingt im Virgo Gravitationswellendetektor, indem jeder Spiegel am Ende einer Kette von Pendeln, sogenannter ‚Super-Dämpfer‘, aufgehängt wurde. Damit zählen die Spiegel des Virgo zu den reglosesten Objekten der Erde (siehe Abbildung 4). Aber wie ist die Isolation eines aufgehängten Gegenstandes von der Umgebung möglich?

Jedes Pendel besitzt eine charakteristische Eigenfrequenz – das ist die Frequenz, mit der es schwingt, wenn es angestoßen wird (im Fall eines ungedämpften Pendels ist diese mit der Resonanzfrequenz gleichzusetzen). Schwingt bei einem Fadenpendel der Aufhängungspunkt mit einer Frequenz unterhalb dieser Resonanzfrequenz, so bewegt sich das freie Ende des Pendels. Findet die Antriebsbewegung dagegen mit einer Frequenz größer der Resonanzfrequenz statt, so bewegt sich das freie Ende des Pendels kaum. Dieser Effekt lässt sich mit einem einfachen, selbstgebauten Fadenpendel überprüfen und wird im Virgo Gravitationsdetektor ausgenutzt, indem die Pendel, welche die Spiegel tragen, kleinstmögliche Resonanzfrequenzen (einige Hertz) besitzen. Dadurch überträgt sich eine Bewegung der Erde mit höherer Frequenz kaum auf die Spiegel, sodass die Detektion von Gravitationswellen mit Frequenzen oberhalb einiger zehn Hertz ermöglicht wird.

Abbildung 4: Ein Virgo ‘Super-Dämpfer’: eine Kaskade von Pendeln zur Stabilisierung eines Spiegels. 1: Pendelfaden; 2: Pendelverkettung; 3: Spiegel
Abbildung mit freundlicher Genehmigung der Virgo Kollaboration

Erhaltung der Präzision

Um stets ausreichend empfindlich zu sein, etwaige Gravitationswellen zu detektieren, muss der Virgo Gravitationswellendetektor permanent in einem penibel kontrollierten Arbeitszustand gehalten werden. Beispielsweise muss der Laserstrahl (ein Infrarotlaser mit einer Wellenlänge von 1064 nm) extrem stabil gehalten werden, um eine konstante Strahlleistung zu garantieren. Auch die Frequenz des Lasers muss stabilisiert werden, damit sie um weniger als ein 10-14–tel variiert.

Auf der gesamten Länge des Virgo verteilte Sonden überwachen kontinuierlich dessen Zustand und erlauben es, die Länge der optischen Resonatoren auf den Femtometer (10-15 m) genau zu kontrollieren, während Ausrichtungsfehler des Spiegelwinkels auf wenige Nanoradian (weniger als ein Millionstel Grad) beschränkt werden. Zusätzlich überwachen tausende von Sonden ständig den Zustand der Umgebung von Virgo und liefern damit Daten, die im Fall der Detektion eines potentiellen Gravitationswellensignals zur Überprüfung herangezogen werden können.

Auf der Suche nach mehr

Es gibt noch Etliches mehr über das Virgo Experiment zu erklären – beispielsweise, wie die Daten analysiert werden, um herauszufinden, ob wirklich eine Gravitationswelle detektiert wurde. Möchtest du mehr erfahren, so besuche unsere Website w2 oder lies den kürzlich in Science in School erschienenen Artikel über die erstmalige Detektion von Gravitationswellen (Kwon, 2017) – und den Entdeckungen, die diese neue Fähigkeit der Astrophysik bringen könnte.

Danksagung

Der Autor bedankt sich bei Dan Hoak (European Gravitational Observatory) für seine Hilfe bei der Vorbereitung dieses Artikels.


References

  • Für einen vorherigen Artikel in Science in School über die Detektion von Gravitationswellen, siehe:

Web References

Resources

Author(s)

Nicolas Arnaud ist Physiker und arbeitet am französischen Nationalen Zentrum für Wissenschaftliche Forschung (Centre National de la Recherche Scientifique, CNRS). Nachdem er über das Virgo Experiment, welches sich zu diesem Zeitpunkt noch in der Konstruktionsphase befand, promovierte, arbeitete er ein Jahrzehnt in der Teilchenphysik, bevor er sich 2014 abermals dem Projekt Virgo anschloss. Seit September 2016 arbeitete er am Europäischen Gravitationsobservatorium (European Gravitational Observatory, Italien). Seit 2003 war er an verschiedenen Öffentlichkeits- und Bildungsprogrammen beteiligt und koordiniert einige dieser Aktivitäten auf nationaler Ebene.

Review

Dieser Artikel thematisiert die Funktionsweise von Gravitationswellendetektoren – riesigen, aber sehr empfindlichen Maschinen, die Schüler sehr interessieren könnten. Die Details des Funktionsprinzips und die Probleme, die bis zum Erreichen der hohen Empfindlichkeit behoben werden mussten, werden in einer sehr verständlichen Weise von dem Autor, einem Gravitationswellenwissenschaftler, beschrieben.

Mögliche Verständnisfragen beinhalten:

  • Was sind Gravitationswellen?
  • Wieso ist es so schwierig, Gravitationswellen zu detektieren?
  • Wie funktionieren Gravitationswellendetektoren?
  • Gravitationswellendetektoren sind sehr empfindlich. Warum sind diese Maschinen derart groß?
  • Die Konstruktion von Gravitationswellendetektoren ist eine große Herausforderung. Beschreibe die Hauptschwierigkeiten und wie diese gelöst werden können.

Gerd Vogt, Hochschule für Umwelt und Ökonomie, Österreich

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