Übersetzt von Oliver Abel.
Modellorganismen wie Hefezellen, Würmer, Fliegen und Mäuse ermöglichen Forschern, die Geheimnisse des Lebens zu untersuchen.
gut auf engem Raum
überleben.
Mit freundlicher Genehmigung
von ZEISS Microscopy;
Bildquelle: Wikimedia
Commons
Ein Modell stellt man sich für gewöhnlich kleiner und einfacher als sein entsprechendes Vorbild, wie zum Beispiel eine maßstabsgetreue Modelleisenbahn oder ein Spielzeugauto, vor. Allerdings sind nicht alle Modelle auch Spielzeuge: Landkarten sind Modelle, die eine Landschaft detailgetreu abbilden. Architekten und Ingenieure bauen Modelle, um ihre Ideen zu prüfen, bevor diese in Originalgröße realisiert werden.
Ganz ähnlich nutzen Molekularbiologen schon seit Jahrzehnten Modelle, indem sie stellvertretend für komplexere Arten (wie z.B. den Menschen) einfachere Organismen untersuchen. Diese sogenannten Modellorganismen haben auf den ersten Blick nur wenig Ähnlichkeit mit denjenigen Arten, denen sie als Modell dienen. Ein Beispiel: Caenorhabditis elegans (üblicherweise als C. elegans bezeichnet) ist ein lediglich ein Millimeter langer Wurm, der sich in Aussehen und Lebensweise nicht stärker vom Menschen unterscheiden könnte, dennoch ähneln sich auf der molekularen Ebene fundamentale Lebensprozesse. Die Forschung an C. elegans führte zu wichtigen Erkenntnissen, die nicht nur für diese eine Art sondern auch für viele andere gültig sind. Zum Beispiel erforschte man an C. elegans die Wirkung von Beta-Amyloiden, das sind Peptidmoleküle, welche sich im Gehirn von Alzheimer Patienten ansammeln. So trug der kleine Wurm dazu bei, dass einige der Krankheit zugrunde liegenden molekularen Mechanismen geklärt werden konnten.
Welchen Grund haben derartige Ähnlichkeiten zwischen verschiedensten Arten? Ein Vergleich von Genomen vieler unterschiedlicher Arten ergab, dass die Gene für viele biologische Schlüsselprozesse im Laufe der Evolution konserviert wurden und in einem breiten Artenspektrum (von Bakterien bis hin zu Säugern) zu finden sind. Das bedeutet, obwohl Würmer und Menschen sich vor Millionen von Jahren von einem gemeinsamen Vorfahren ausgehend unterschiedlich entwickelt haben, haben etwa 40% der kodierenden Wurmgene Gegenparts im menschlichen Genom.
Die Hefe Saccharomyces cerevisiae, ein einzelliger Organismus, der offensichtlich in noch geringerem Umfang mit dem Menschen verwandt ist, erlangt in der Krebsforschung herausragende Bedeutung. Der Zellzyklus (eine Reihe von Prozessen, die Zellwachstum und Zellteilung bedingen) ist für lebende Organismen so fundamental, dass er in allen Eukaryoten (natürlich auch in Hefe) erhalten blieb. Der Zellzyklus ist ebenso ausschlaggebend für die unkontrollierte Teilung von Tumorzellen. Die Forschung an Hefezellen führte nicht nur zu einem intensiveren Verständnis dieses grundlegenden Lebensprozesses, sondern kann auch im klinischen Bereich genutzt werden.
Obwohl jeder Modellorganismus ganz eigene Vor- und Nachteile hat, gibt es einige Merkmale und Eignungen, welche alle Modellorganismen gemeinsam haben. Eines davon ist eine geringe Größe, da Platz im Labor eine beschränkte Ressource ist. Da man etwa 10 000 Tiere in einer Petrischale mit einem Durchmesser von 10 cm halten kann, ist C. elegans für das Labor mehr als ideal. Dennoch ist das vielleicht wichtigste gemeinsame Merkmal aller Modellorganismen, angefangen beim Bakterium Escherichia coli bis hin zur Maus Mus musculus, eine sehr kurze Generationszeit im Vergleich zum Menschen. Zum Beispiel C. elegans benötigt für seine Entwicklung vom Embryo zum adulten Tier nur drei Tage und hat eine Lebenserwartung von lediglich zwei bis drei Wochen. So lassen sich Experimente, die eine Beobachtung über Generationen hinweg erfordern, in einigen Wochen anstatt innerhalb einiger Jahre durchführen.
Verwendet man einfachere Organismen als Modelle ist das per se schon von Vorteil, da dadurch die Experimente auch einfacher werden. Die Fruchtfliege zum Beispiel, Drosophila melanogaster, besitzt nur vier Chromosomenpaare während Menschen über 23 verfügen. Deshalb war Drosophila schon sehr früh der Modellorganismus der Wahl, wenn man untersuchen wollte, wie Gene von Generation zu Generation weitergegeben werden. Sie eignet sich auch hervorragend für Studien, in denen Zusammenhänge zwischen Genetik und Verhalten untersucht werden, da sie einige das Verhalten beeinflussende Gene mit Säugern gemeinsam hat. Zum Beispiel wird sie zur Untersuchung des circadianen Rhythmus (Tag-Nacht-Rhythmus) eingesetzt. Schlafen und Wachsein bei Drosophila wird durch weniger Faktoren beeinflusst als bei Menschen, wodurch sie ein nützliches vereinfachendes Modell darstellt.
Genetische Ähnlichkeit kann ein weiterer wichtiger Vorteil sein. Das Mausgenom hat eine ähnliche Größe wie das menschliche, und fast jedes menschliche Gen hat einen Gegenpart im Genom der Maus Mus musculus. Deshalb ist diese Spezies als Modellorganismus, insbesondere für menschliche Krankheiten, so weit verbreitet. Jedoch manchmal kann die Andersartigkeit des Modells auch von Vorteil sein. Forscher nutzten C. elegans, um eine menschliche Nierenerkrankung mit bekannter genetischer Ursache zu untersuchen, obwohl diese Spezies gar keine Niere hat. Deshalb konnte man ohne Folgeerkrankung des Wurms das krankheitsauslösende Gen ins Genom einbringen, sodass die biochemischen Reaktionswege, die den Defekt beim Menschen auslösen, identifiziert werden konnten.
Letztendlich hängt die Wahl des Modellorganismus von der konkreten Fragestellung ab, die verfolgt werden soll. Der komplett durchsichtige Körper von C. elegans bringt beispielsweise Vorteile in der entwicklungsbiologischen Forschung. Wir können mit einem simplen Mikroskop beobachten, wie sich jede einzelne Zelle innerhalb einiger Tage aus dem befruchteten Ei entwickelt.
Heute machen es die immer weiter fortschreitenden Verbesserungen von Genom Editierungstechniken sowie immer mehr Daten über vollständig sequenzierte Genome zunehmend einfacher, Gene sehr präzise zu modifizieren. Menschliche Gene kann man heute in genetisch sowie anatomisch völlig andere Organismen einbringen, und so besteht die Notwendigkeit an Arten zu forschen, deren Genome den unseren ähneln, nicht mehr. Auch ermöglicht es heute die Bioinformatik (die Anwendung von Datenverarbeitungstechniken auf die Biologie) präzise herauszufinden, welche Gene wir mit den Modellorganismen gemeinsam haben.
In ihrer Gesamtheit eröffnen diese Technologien unbegrenzte Einsatzmöglichkeiten, um mit ihnen den kausalen Zusammenhang zwischen Genen und menschlichen Krankheiten an einfachen Modellorganismen zu erforschen. Neben diesen medizinischen Anwendungsmöglichkeiten erobern Forscher mit ihnen in den Lebenswissenschaften immer mehr Neuland. Das gleiche gilt für die gemeinsamen biologischen Systeme, durch die alle Lebewesen miteinander verbunden sind.
Man muss nicht notwendigerweise im Labor arbeiten, um einem Modellorganismus zu begegnen. Einigen der bedeutendsten begegnen wir in unserem Alltag.