Das geheime Innenleben von Vulkanen: Myonen-Radiographie im Einsatz Understand article

Übersetzt von Svantje Braun. Wie finden wir heraus was im Inneren eines Vulkans passiert? Mit kosmischer Strahlung!

Ausbruch des Vesuv, von
Johan Christian Dahl
(1788–1857)

Public Domain Bild; Bildquelle:
Wikimedia Commons

Vulkane sind faszinierende Berge; Schönheit und versteckte Gefahr zugleich. In direkter Nachbarschaft zu einem aktiven Vulkan, wie dem Vesuv in Neapel, Italien, spüren die Menschen seine Gegenwart als wäre er ein gigantisches Lebewesen, das jederzeit angreifen könnte. Dies beeinflusst ihre Lebenseinstellung: Das Leben ist wunderschön, aber unberechenbar. Wie lange wird es dauern, bis der Vesuv wieder ausbricht? Und was passiert tief im Inneren des Vulkans?

Der dramatische Ausbruch
des Vesuv im Jahr 1872 über
der italienischen Stadt
Neapel. Fotografie von
Giorgio Sommer (1834-1914)

Public Domain Bild; Bildquelle:
Wikimedia Commons

Heute gibt es Möglichkeiten, heraus zu finden, was genau in einem Vulkan vor sich geht, die über phantasievolle Spekulationen hinausgehen. Allerdings sind diese noch sehr begrenzt. Gängige Methoden arbeiten indirekt. Zum Beispiel werden durch kleine Explosionen schwache Erschütterungen um den Vulkan herum ausgelöst. Diese künstlichen seismischen Wellen werden von Gestein verschiedener Dichter unterschiedlich reflektiert (wie ein Echo). Durch Einsatz komplexer Mathematik können aus diesen Daten Details zur inneren Struktur des Vulkans abgeleitet werden.

Ein neues bildgebendes Verfahren

Teilchenschauer – Kosmische
Strahlen, also primäre
Partikel, die durch rätselhafte
Mechanismen im fernen
Universum beschleunigt
wurden, erreichen uns und
wechselwirken mit einem
Atomkern in der
Erdatmosphäre. Myonen sind
durch das Symbol µ
gekennzeichnet; außerdem
sind die folgenden Teilchen
dargestellt: Photonen (γ),
Pionen (π), Neutrinos (ν)
sowie die Energie (e). Zum
Vergrößern auf das Bild
klicken.

Mit freundlicher Genehmigung
des Max Planck Instituts für
Astronomie

Ziel unseres Projekts, eine Zusammenarbeit von Wissenschaftlern aus Italien, Frankreich, den USA und Japan, ist die Weiterentwicklung einer neuen Methode, die einen direkten Blick ins Innere der Vulkane ermöglicht. Wir möchten Schattenbilder erstellen, ähnlich wie man vom menschlichen Körper Röntgenbilder macht. Anstelle von Röntgenstrahlen verwenden wir Myonen (durchdringende Teilchen, die etwa 200-mal so schwer sind wie Elektronen) – daher der Projektname Mu-Ray (Mu-Strahlung).

Myonen entstehen nebst anderen Teilchen, wenn kosmische Strahlen (hochenergetische Partikel aus dem Weltall) mit Atomkernen in der Erdatmosphäre wechselwirken und dabei ‚Schauer‘ sekundärer Partikel hervorbringen. Die Myonen ‚erben‘ die hohe Energie der ursprünglichen kosmischen Strahlen, was sie dazu befähigt, in das Gestein des Vulkans einzudringen und ihn zu durchqueren. So können sie auf der anderen Seite des Bergs erfasst werden. Stoffe einer größeren Dichte absorbieren mehr Myonen (genauso wie Knochen mehr Röntgenstrahlen absorbieren). Dies bildet die Grundlage für die Erstellung von Schattenbildern vom Inneren des Vulkans.

Eine Abbildung der Myonen-
Radiographie des Asama
Vulkans in Japan. Die
unterschiedlichen
Gesteinsdichten sind durch
verschiedene Farben
gekennzeichnet, und die
innere Form des Vulkans ist
klar erkennbar. Zum
Vergrößern auf das Bild
klicken.

Mit freundlicher Genehmigung
von H T M Tanaka

Myonen-Radiographie kam erstmals 1971 zum Einsatz – allerdings nicht bei Vulkanen. Das Innere der Chephren-Pyramide in Gizeh, Ägypten, wurde so untersucht. Der Physiker und Nobelpreisträger Louis Alvarez platzierte einen Myonen-Detektor in der Pyramide, um Veränderungen im Myonen-Fluss (Geschwindigkeit der Myonen-Bewegung) aufzufangen, die auf das Vorhandensein einer versteckten Grabkammer hindeuten könnten. Es wurde jedoch keine gefunden.

Im Jahr 2007 wendeten Hiroyuki Tanaka und seine Mitarbeiter der Universität Tokio diese Technik erstmals bei Vulkanen an. Sie verwendeten die Radiographie um den obersten Teil des Asama Vulkans in Honshu, Japan, abzubilden. So wurde ein Bereich mit Fels geringer Dichte unterhalb des Kraterbodens entdeckt. Solche Bereiche geringer Dichte sind hilfreiche Anhaltspunkte in Computersimulationen, die vorhersagen, wie sich mögliche Eruptionen entwickeln könnten, und wo in der Nähe des Vulkans es am gefährlichsten ist. Ihre Beobachtungen zeigten, dass die Myonen-Radiographie tatsächlich nützliche Bilder der inneren Struktur eines Vulkans liefern kann. 

Die Myonen-Radiographie hat gleich zwei wichtige Vorteile. Erstens, während bisherige indirekte Methoden Informationen mit einer Genauigkeit von rund 100 m liefern, ist die Myonen-Radiographie bis zu zehnmal genauer. Sie kann innere Strukturen bis auf 10 m genau auflösen. Zweitens erlaubt die Myonen-Radiographie eine kontinuierliche Beobachtung, so dass sich möglicherweise zeitliche Entwicklungen von Strukturen erkennen lassen. Die zeitliche Auflösung hängt von der Dicke des Gesteins ab, das die Myonen  durchqueren: Je dicker es ist, desto schwächer ist der Myonen-Fluss, und desto länger dauert es, genug Myonen für ein Bild einzusammeln. Das kann Wochen, Monate, oder Jahre dauern.

Das Prinzip der Myonen-Radiographie. Während sie den Vulkan durchqueren, werden die nahezu horizontalen Myonen durch das Gestein des Vulkans absorbiert. Je dichter das Gestein, desto mehr Myonen werden absorbiert. Der Rückfluss wird zur Normalisierung verwendet.
Mit freundlicher Genehmigung von Nicola Graf

Heute wird die Myonen-Radiographie für Vulkane auf der ganzen Welt eingesetzt. Auf den Kleinen Antillen, am Puy de Dôme in der Mitte Frankreichs, und im Rahmen unseres sehr anspruchsvollen Projekts Mu-Ray, am Vesuv. Die Bilder werden mithilfe von Detektoren, so genannten Myonen-Teleskopen, aufgenommen. Ihre Funktionsweise beruht auf Erkenntnissen der Teilchenphysik, und sie nehmen die Rolle des Röntgenfilms aus konventionellen Röntgenaufnahmen ein. Die Teleskope fangen nahezu horizontale Myonen ein, die aus dem Vulkan hervortreten nachdem sie ihn durchquert haben. Durch Rekonstruktion der Strecke, die jedes einzelne Myon durch den Vulkan zurückgelegt hat, können diese Geräte die Myonen-Absorption in jeder Richtung messen. Dichteres Gestein absorbiert mehr Myonen, eine Abbildung der Myonen-Flüsse stellt also ein negatives Abbild der Gesteinsdichten innerhalb des Vulkans dar. Mit solchen Bildern kann man zwar nicht vorhersagen, wann ein Vulkan ausbricht. Sie sind aber, zusammen mit anderen Beobachtungen, hilfreich um abzusehen, wie sich ein Vulkanausbruch abspielen könnte.

Ein Blick ins Innere des Vesuv

Der Mu-Ray Myonen-
Teleskop Prototyp am Vesuv.

Mit freundlicher Genehmigung
von Paolo Strolin

Der Vesuv: Dieser Vulkan stellt eine besondere Herausforderung dar, nicht nur weil er das größte Risiko vulkanischer Art in Europa birgt, sondern auch wegen der unüblichen Struktur des Berges. Der Vesuv ist in einem ehemaligen viel größeren Vulkan, dem Monte Somma, gelegen. Darüber hinaus befindet sich am Gipfel des Vesuv ein mehr als 500 m breiter und 300 m tiefer Krater: Um also den Bereich unterhalb des Kraterbodens abzubilden, müssen die Myonen tief in den Berg durch fast 2 km Gestein dringen, um den Detektor auf der anderen Seite des Vulkans zu erreichen. Nur hochenergetische Myonen, die sich in nahezu waagerechter Richtung fortbewegen, können durch so viel Gestein hindurch kommen. Nicht viele Myonen erreichen den Detektor, was die Erstellung von Abbildungen extrem schwierig macht. Dies erklärt, warum das Projekt – und die Entwicklung der Myonen-Radiographie – eine große Herausforderung ist.

Das Innenleben des Vesuv
nach Athanasius Kircher
(1602-1680), aus seinem
Werk Mundus Subterraneous

Public Domain Bild; Bildquelle:
Wikimedia Commons

Um einen Blick ins Innere des Vesuv zu werfen, müssen wir also ein neuartiges Myonen-Teleskop entwickeln. Dieses muss im Vergleich zu früheren Teleskopen eine weit größere Fläche abdecken, um bei der geringen Flussdichte überhaupt genug Partikel für ein Bild aufzufangen. Grundlegende Verbesserungen sind auch nötig, um experimentell wichtige Teilchen von Hintergrund-Myonen zu unterscheiden. Unser Plan ist es, die Flugdauer eines jeden Myons innerhalb des Teleskops zu messen. So können wir Rückschlüsse auf die Richtung des Myons ziehen, und ob es so durch den Vulkan geflogen sein kann.

Ein Prototyp des neuen Teleskops mit einer Detektorfläche von 1 m2 – das Ziel sind 10 m2 oder mehr im endgültigen Teleskop – zeichnet seit dem Frühjahr 2013 Daten am Vesuv auf. Die Daten werden derzeit ausgewertet. Die Detektoren bestehen aus Plastik-Szintillator-Streifen – eine Technologie aus der Teilchenphysik. Diese Streifen können große Flächen abdecken und ermöglichen lange Belichtungszeiten – außerdem sind sie robust genug um vulkanischen Bedingungen standzuhalten. Aus praktischen Gründen ist ein geringer Energieverbrauch des Teleskops wichtig – es kann mit Sonnenenergie betrieben werden – und es muss transportabel sein, damit es an unterschiedlichen Orten eingesetzt werden kann. Abhängig von Fördergeldern und den Erfahrungen, die wir mit diesem Prototyp sammeln werden, hoffen wir als nächsten Schritt zwei Teleskop-Arrays mit je 4 m2 Gesamtfläche zu bauen. Diese sollen dann Daten über ein Jahr und länger aufzeichnen.

Neue Möglichkeiten

Foto des Mount Cleveland auf
der Inselkette der Aleuten
(Alaska). Das Bild wurde von
der internationalen
Raumstation ISS am 23. Mai
2006 aufgenommen. Der
Vulkan spuckte damals eine
Aschewolke, brach aber nicht
aus.

Mit freundlicher Genehmigung
der NASA

In der Zwischenzeit arbeiten Teilchenphysiker und Vulkanologen weiterhin auf dem Gebiet der Myonen-Radiographie zusammen. Nicht nur die Untersuchung geologischer Strukturen wird von den neu entwickelten Geräten profitieren, es eröffnen sich auch mögliche industrielle Anwendungen: Man könnte z.B. ins Innere eines Kernreaktors blicken oder die Dicke der Wand eines Eisenschmelzofens bestimmen, die so bei Bedarf rechtzeitig ersetzt werden kann.

Neben diesen Möglichkeiten gibt es eine neue aufstrebende Technologie, die Bildgebung auf einer noch höheren Ebene ermöglichen könnte: Die Neutrino-Radiographie. Neutrinos besitzen eine unglaublich durchdringende Energie. Aus kosmischer Strahlung stammende Neutrinos könnten beim Durchdringen unserer Erde irgendwann einmal Aufschluss über die Dichte des Kerns unseres eigenen Planeten geben.

Danksagung

Das Mu-Ray Projekt wird gefördert durch das Istituto Nazionale di Fisica Nucleare (nationales Institut für Kernphysik, Italien) und durch das Istituto Nazionale di Geofisica e Vulcanologia (nationales Institut für Geophysik und Vulkanologie, Italien) mit Beiträgen das italienischen Ministeriums für Bildung und Forschung (MIUR-PRIN), des Fermilab (USA) und des IN2P3-Orsay (Frankreich) und Unterstützung der  Provincia di Napoli (Provinz Neapel) und des Istituto Fondazione Banco di Napoli (Stiftung der Bank von Neapel).

Der Autor bedankt sich für die Beiträge zu diesem neuen Forschungsfeld von HKM Tanaka and A Taketa (ERI-Tokyo); K Niwa und T Nakano (Nagoya); D Gibert und J Marteau (DIAPHANE Kollaboration); C Carloganu (TOMUVOL Kollaboration); F Ambrosino, G Castellini, R D’Alessandro, G Iacobucci, M Martini, M Orazi und G Saracino (Mu-Ray Kollaboration).


Web References

Resources

Author(s)

Paolo Strolin ist emeritierter Professor an der Universität Federico II in Neapel, Italien. Sein hauptsächliches Fachgebiet ist die Teilchenphysik, genauer die Physik der Neutrinos. Die Bildung und Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses  ist ihm sehr wichtig. Er arbeitet am Scienza e Scuola (Wissenschaft und Schule) Projekt mit, welches Lehrer, Schüler und professionelle Wissenschaftler verbindet, um das Interesse junger Menschen für die Wissenschaft zu wecken und ihr Wissen zu stärken.w1.

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