Erdbeben auf der Spur – Erdbebenforschung im Klassenzimmer Teach article

Übersetzt von Tobias Kirschbaum. Chinesische Drachen, die Erdbeben vorhersagen? Wellen aus leuchtenden Gummibären? Erdbebensichere Spaghetti? Die Physiklehrer Tobias Kirschbaum und Ulrich Janzen erklären, wie sie Geophysik unterrichten.

Die Autoren

Wellenbrechung und Energietransport sind in ganz Europa Standardinhalte von Physikkursen für 16- bis 17-Jährige. Normalerweise müssen die Schüler ihre Kenntnisse in Prüfungen zeigen, die sich auf die Untersuchung von Federn, Slinkies® oder anderen klassischen mechanischen Experimentiermaterialien beziehen.

Die fachdidaktische Forschung der letzten Jahre betont allerdings deutlich die Bedeutung der Einbindung naturwissenschaftlicher Theorien und Modelle in Kontexte aus der Lebens- und Erfahrungswelt der Schüler. An niemandem werden die Zerstörungen emotionslos vorübergegangen sein, die z.B. der Hurrikan Katrina in den USA oder die jüngsten Erdbeben im Iran hinterlassen haben.

Ein naturwissenschaftliches Konzept zu vereinfachen und jüngeren Schülern zu erklären, ist für ältere Schüler ein sehr effektiver Weg um sicherzustellen, dass sie eine Thematik in der Tiefe verstanden haben. Wirkungsvolle Demonstrationen zu entwickeln sowie tatsächlich jüngere Schüler zu unterrichten, fördert zudem die multiplen Intelligenzen, die nach Howard Gardner in allen Lerngruppen vorhanden – und zu berücksichtigen – sind.

Die Grundlagen der Erdbebenforschung können in den normalen Kursunterricht integriert werden. Die Experimente, die wir vorstellen, sind darüber hinaus auch gut geeignet, die Naturwissenschaften und ihre Bedeutung einer größeren Öffentlichkeit vorzustellen, z.B. an Tagen der offenen Tür. Und natürlich können die Präsentationstechniken, die die Schüler im Kursverlauf entwickeln, wichtig werden für das spätere Leben.

Soweit reichten unsere Überlegungen, als wir einen Physikkurs mit unseren Schülern planten. An dieser Stelle übernahmen die Schüler mit ihrer Kreativität und ihrem Enthusiasmus.

Die Schüler benutzten Internet-Materialien, Zeitungsartikel und ihr Textbuch, aber v.a. entwickelten sie schon bald ihre eigenen Ideen davon, was zentral und essentiell für die Erdbebenforschung ist. Sie begannen, Modellexperimente zu entwickeln, die von gekoppelten Pendeln bis zum Versuch reichten, einen Tsunami zu simulieren. Drei Themenbereiche stellten sich dabei als besonders tragfähig und wirkungsvoll heraus: ein antiker chinesischer Seismograph, eine einfache Wellenmaschine und die Untersuchung erdbebensicherer Bauten.

Der Nachbau eines antiken chinesischen Seismographen

Es gibt Berichte über einen antiken chinesischen Seismographen, der vor mehreren tausend Jahren gebaut wurde und dem eine unglaubliche Empfindlichkeit nachgesagt wird. Da nur noch Beschreibungen des äußeren Erscheinungsbildes existieren, ist nicht bekannt, wie der Seismograph im Inneren konstruiert war. Auch wenn manche Bücher einige Ideen hierzu liefern, ist es – so weit wir wissen – bisher niemandem gelungen, ein funktionierendes Modell des ursprünglichen Seismographen zu bauen.

Auf dem glockenförmigen Seismograph waren kreisförmig acht Drachen angeordnet, von denen jeder eine kleine Perle im Maul hielt. Kam es zu einem Erdbeben, ließ der Drache, der in Richtung dieses Erdbebens zeigte, seine Perle in eine darunter stehende Schale fallen. Angeblich sollen Erdbeben in mehreren hundert Kilometern Entfernung registriert worden sein – allein durch die Tatsache, dass eine Perle in ihrer Schale lag.

Recycling auf höchstem
Niveau: ein chinesischer
Seismograph, nachgebaut mit
einem Papierkorb

Nachdem die Schüler Bilder im Internet und in alten Berichten studiert hatten, vermuteten sie schnell, dass Trägheit ausgenutzt werden könnte, um die Drachenmäuler zu öffnen. Die Drachen der Schüler wurden aus zwei kleinen Holzblöcken hergestellt, die durch Gewebeband zusammengehalten und – wenn auch nicht notwendig für die Funktion – als Drachenköpfe bemalt wurden. Ein mit Holzspießen versehenes Pendel diente als zentrale Masse, um die Drachen auszulösen. Murmeln ersetzten die Perlen und ein umgedrehter Plastik-Papierkorb wurde als äußeres Gehäuse des Seismographen verwandt.

Das Hauptanliegen des Modells war es eigentlich, eine mögliche Erklärung dafür zu liefern, wie der antike chinesische Seismograph funktioniert haben könnte – aber das Ergebnis übertraf alle unsere Erwartungen: Bereits sehr leichte Schläge an den Rand des Tisches, auf dem der Seismograph stand, führten dazu, dass die Drachen die Murmeln losließen – in der richtigen Richtung, während die anderen Drachen ihre Murmel weiter im Maul behielten. Mit kleinen Verbesserungen ließe sich die Genauigkeit sicherlich noch weiter erhöhen: Man könnte eine größere Pendelmasse verwenden, die seitlichen Bewegungsmöglichkeiten der Drachenköpfe einschränken sowie feste Verbindungen zwischen Pendel und Drachenköpfen herstellen.

Eine einfache Wellenmaschine

Ein Gummiband ergibt eine
fantastische Wellenmaschine

Die meisten Wellenmaschinen werden aus Holz und Metallstäben hergestellt, sind aber häufig zerbrechlich oder zu klein für wirklich effektive Demonstrationen im Klassenzimmer. Stattdessen kamen einige unserer Schüler auf die Idee, breite Gummibänder zu verwenden, wie man sie für Gummizüge in Hosen oder Röcken benötigt und die zudem sehr billig zu beschaffen sind. Vier alte Fahrradfelgen wurden von einem örtlichen Fahrradladen gestiftet, deren Speichen hervorragende Dienste als Zeiger für die Wellenbewegung leisteten. Die Speichen wurden mehrfach durch das Gummiband geschoben und mit Heißkleber fixiert. Die Gesamtlänge dieser selbstgebauten Wellenmaschine betrug etwa vier Meter.

Im – quer durch den Klassenraum – gespannten Zustand lassen sich mit dem Gummiband alle wichtigen Wellenphänomene demonstrieren: wandernde Wellen (sowohl transversal als auch longitudinal), Wellenreflexion und stehende Wellen. Für die endgültige Präsentation am Tag der offenen Tür unserer Schule wurden Gummibären auf die Speichenenden gesteckt, so dass die Wellen in Schwarzlicht geheimnisvoll leuchteten – nicht notwendig für die Physik, aber mit Sicherheit ein eindrucksvoller Anblick.

Die Untersuchung erdbebensicherer Gebäude

Als unsere Schüler Informationen über erdbebensichere Gebäude suchten, stießen sie schnell auf das Salters Horners Advanced Physics (SHAP) Projekt der York University Education Group. Um verschiedene Gebäudekonstruktionen zu testen, schlagen die SHAP-Autoren einen Erdebentisch vor, der aus Holz, festem Schaumstoff und einem Oszillator gebaut wird. Wir benutzten zusätzlich noch eine Idee des SHAP-Teams, die 2003 bei Physics on Stage 3 vorgestellt worden war: Anstatt die Gebäude mit Strohhalmen oder Metallbaukästen zu konstruieren, testeten Liz Swinbank und ihr britisches Team Gebäude aus Spaghetti. Das war nicht nur effektiv, es sah auch eindrucksvoll aus.

Unsere Schüler waren von dieser verrückten aber sehr wirkungsvollen Materialwahl begeistert und begannen, verschiedene Designs von erdbebensicheren Gebäuden nachzubauen, über die sie im Internet gelesen hatten. Darüber hinaus konzentrierten sie sich auch darauf, die Faktoren zu zeigen, die die Ausbildung stehender Wellen in Gebäuden beeinflussen. Der Erdbebentisch mit seinen verschiedenen Modellen erwies sich als Publikumsmagnet an unserem Tag der offenen Tür.

Rückblick

Auch wenn die Entwicklung und Herstellung der Demonstrationen einige Zeit in Anspruch nahm, so kann das Motivationspotential dieses Ansatzes nicht hoch genug bewertet werden. Die Schüler verbrachten nach der regulären Schulzeit Stunden damit, ihre Modelle zu verbessern und weitere Variationen zu testen. Alle Kursteilnehmer konnten zum Erfolg des Projektes beitragen, unabhängig von ihren jeweiligen Fähigkeiten. Allein dies rechtfertigt den Aufwand, den die Erfahrung eines erfolgreichen Projektes hat nicht nur die Gruppe gestärkt, sondern auch ihre Motivation und Interesse für andere Bereiche der Physik gesteigert. Und – sicherlich nicht zuletzt – verbesserte sich das Verständnis der Schüler von Wellen und der dahinter liegenden Physik deutlich.


References

  • Science Education Group, University of York (2001) Salters Horners Advanced Physics: A2 Student Book. Oxford, UK: Heinemann

Resources

Author(s)

Tobias Kirschbaum unterrichtet am Städtischen Gymnasium Kamen und bildet am Studienseminar Arnsberg Physiklehrer aus. Ulrich Janzen unterricht am Franz-Stock-Gymnasium Arnsberg.

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