Schmutzige Fenster könnten gefährliche Schadstoffe beherbergen Understand article

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Schmutzige Fenster beherbergen möglicherweise gefährliche Schadstoffe, die von Fettsäure-Filmen geschützt werden, die beim Kochen entstehen – und so über einen langen Zeitraum bestehen bleiben

Fettsäuren sind die häufigsten Moleküle in tierischen und pflanzlichen Ölen. Diese Moleküle bestehen aus einer polaren Region, die von polaren Oberflächen wie beispielsweise Glass angezogen werden, und einer unpolaren Region. Dies macht sie Oberflächen-aktiv und bedeutet außerdem, dass sie dazu neigen, sich aneinander zu lagern, um ihre polar/polar und unpolar/unpolaren Kontakte zu maximieren, ähnlich zu den Phospholipiden in unserer Zellmembran. Wenn diese Moleküle nun in die Luft freigesetzt werden, wie das zum Beispiel beim Kochen passiert, wenn Fett erhitzt wird, dann bilden sie einen dünnen Film, sobald sie auf eine feste, polare Fensteroberfläche treffen. Laut einer Studie unter der Leitung von Forschern der Universität Birmingham, in Großbritannien, sind Fettsäuren in Kochgasen sehr stabil und werden in der Atmosphäre schlecht abgebaut.[1]

Verbindungen auf Oberflächen, die der Luft ausgesetzt sind, werden oft durch Reaktionen mit Molekülen aus der Atmosphäre, wie Ozon oder Wasser, abgebaut. Um herauszufinden, ob das auch auf Fettsäure-Filme von Kochgasen zutrifft, wurden die dünnen Fettsäure-Filme Ozon und Feuchtigkeit ausgesetzt, um atmosphärisches Altern zu simulieren. Das Ergebnis: derartige Filme werden nur sehr langsam von der Atmosphäre abgebaut. Die größte Veränderung bestand in der Aufnahme von Feuchtigkeit in den Film und der verstärkten Rauheit aufgrund der unebenen Wasseraufnahme und Oxidation. Das bedeutet, dass Fettsäure-Filme als Schutzmantel fungieren könnten, die möglicherweise gefährliche Schadstoffe, die sich ebenfalls oft auf Fensteroberflächen ablagern, unter sich begraben. Dr. Christian Pfrang, Hauptautor der Studie, sagte dazu, „Die Fettsäuren in diesen Filmen sind an sich nicht gefährlich – aber da sie nicht abgebaut werden, schützen sie im Endeffekt jegliche Schadstoffe, die unter ihnen begraben sein könnten.“

Fettsäuren organisieren sich selbst in mehrschichtige Filme, wobei die polare Kopfgruppen (blau) nach außen zeigen und die unpolaren Schwänze (schwarz) zwischen den Schichten vergraben sind. Diese Filme bleiben intakt, wenn sie Ozon (O3) ausgesetzt sind und schwellen bei Feuchtigkeit (H20) an. Rote Kugeln=Sauerstoff, weiße Kugeln=Wasserstoff.
©Universität Birmingham

Diese komplexe Studie wurde in der Zeitschrift Environmental Science: Atmospheres veröffentlicht und wurde in Zusammenarbeit mit Experten der Universität Bath, der Diamond Light Source und ISIS Neutron und Muon Source in Großbritannien, und dem Institut Laue-Langevin (ILL) in Frankreich durchgeführt. Das Team arbeitete an Labor ‘proxies’ – Materialproben, die im Labor so bearbeitet wurden, dass sie realen Proben nahekommen. Die Proben wurden zentrifugiert, bis sie hauchdünne Fettsäurefilme mit einer Dicke von nur wenigen Nanometer bildeten.

ILL

Das Institut Laue-Langevin (ILL) ist ein internationales Forschungszentrum. Es ist führend in Neutronenwissenschaften und -technologie und befindet sich in Grenoble, Frankreich. Als Dienstleistungsinstitut stellt das ILL seine Einrichtungen und sein Fachwissen Gastwissenschaftlern zur Verfügung. Jedes Jahr führen etwa 1400 Wissenschaftler aus über 40 verschiedenen Ländern ihre Forschung am ILL aus vielen Bereichen durch: Materialwissenschaften, Biologie, Medizin, Physik, Chemie und Umweltwissenschaften. 

The D20 powder-diffraction Die D20 Pulverdiffraktions-Strahllinie (powder-diffraction beamline) in der Reaktorhalle des ILL
©ILL

Neutronen, die von dem Nuklearreaktor des ILL produziert werden, sind sehr leistungsstark und ermöglichen die Untersuchung kleiner Materialproben. Sie haben spezifische Eigenschaften, die Informationen liefern, die durch andere Methoden nicht erhalten werden können. Neutronen interagieren mit den Kernen von Materie, werden von ihnen abgelenkt und ändern dabei ihre Geschwindigkeit. Beobachtet man nun die Geschwindigkeit und Bewegungsbahn der Neutronen, erhält man genaue Informationen zu der Position und Bewegung der Kerne. Neutronen verhalten sich außerdem wie kleine Kompassnadeln und geben so einzigartige Einblicke in Magnetismus. 

Am ILL werden Neutronen in einem Hochfluss-Kernreaktor durch die Spaltung eines hoch angereicherten U235-Brennelements erzeugt, ähnlich wie in kommerziellen Kraftwerken. Während jedoch in Kraftwerken der Zerfallsprozess zur Energieerzeugung genutzt wird, dient der Reaktor am ILL der Gewinnung von Neutronen für die wissenschaftliche Forschung.

Die Wissenschaftler nutzten sowohl Neutronen als auch Röntgenstrahlung, um die Zusammensetzung der Fettfilme und Veränderungen in ihren Oberflächenstrukturen zu untersuchen. Durch die Veränderung der Luftfeuchtigkeit und der Menge an Ozon – einem wichtigen Schadstoff, der an der atmosphärischen Alterung beteiligt ist – konnten die Forscher auch das Verhalten der Filme im Laufe der Zeit nachahmen. Neutronen spielten in dieser Studie eine Schlüsselrolle, da sie sehr empfindlich auf das Wasser in den feuchtigkeitsgequollenen Filmen reagieren. Dank des hochauflösenden Detektors des FIGARO-Instruments am ILL konnte der Aufbau der Fettsäuren und ihre Position in der Schicht beobachtet werden.

Das FIGARO-Instrument. Nanometerdünne Filme, die auf einer freien Wasseroberfläche schwimmen, können mit diesem Aufbau untersucht werden.
©ILL

Die Forscher fanden eine selbstorganisierte Anordnung von sich wiederholenden Moleküllagen in den Filmen – eine so genannte lamellare Phase. Diese Anordnung erschwert es kleineren Molekülen wie Ozon, an die reaktiven Gruppen der Fettsäuren heranzukommen, um sie zu oxidieren und so vom Fenster zu entfernen. Nachdem der Film abgelagert und Ozon ausgesetzt wurde, bestand die einzige Veränderung in der Filmoberfläche in einer erhöhten Rauheit, die wahrscheinlich durch das Eindringen von Ozon durch kleinere Defekte im Film veranlasst wurde.. Dies erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass der Film Wasser aus der Atmosphäre aufnimmt, das giftige Aerosole enthalten kann.

Diese Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass es vorteilhaft sein könnte, die Anhäufung von Kochemissionen auf Oberflächen zu verringern, entweder durch regelmäßige Reinigung oder durch Reduzierung der polaren Oberflächen in Küchenumgebungen. Es sind jedoch weitere Forschungsarbeiten erforderlich, um Molekülmischungen zu untersuchen, die den tatsächlichen Kochemissionen näherkommen.


References

[1] Pfrang C et al. (2022) The evolution of surface structure during simulated atmospheric ageing of nano-scale coatings of an organic surfactant aerosol proxy. Environmental Science: Atmosphere 2: 964–977. doi: 10.1039/D2EA00011C.

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Author(s)

Philipp Gutfreund ist Wissenschaftler am Institut Laue-Langevin (ILL) in Grenoble, Frankreich. Nach Beenden seiner Doktorarbeit in Physik an der Ruhr-Universität in Bochum, Deutschland, begann er am ILL mit dem D17 Instrument (siehe Foto) zu arbeiten und seit 2018 ist er verantwortlich für das FIGARO-Instrument.

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