Der weiße Kontinent als Sprungbrett zum roten Planeten Understand article

Übersetzt von Miriam Sonnet. Bevor Wissenschaftler der Europäischen Weltraumorganisation eine Mission zum Mars planen, müssen sie zunächst in die Antarktis reisen.

Die Concordia
Forschungsstation

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Nazionale di Ricerche in
Antartide – Istituto Polare
Emile Victor. Alle Rechte
vorbehalten

Drei Kilometer über dem Meeresspiegel, 1000 km im Landesinneren und bei Temperaturen von –60°C ist Dome C, ein Eisplateau im Innern der Antarktis, einer der abgelegensten und lebensfeindlichsten Orten der Erde. Seit 2005 ist es auch das Zuhause der Mitarbeiter der Französisch-Italienischen Concordia Forschungsstationw1.

Die harten Umweltbedingungen sind eine dauerhafte Herausforderung für das Team, das hier das ganze Jahr über wohnt. Während des kurzen antarktischen Sommers ist die Concordia Station mit bis zu 50 Mitarbeitern ein belebter Ort. Aber wenn das letzte Flugzeug Ende Februar die Station verlässt, ist die Concordia von der Welt abgeschnitten. Für die nächsten acht Monate ist die Stammbesetzung, bestehend aus 12 bis 14 Wissenschaftlern, Ingenieuren und Hilfskräften auf sich alleine gestellt.

Mars
Mit freundlicher Genehmigung
der NASA

Die Kombination aus Isolation und extremen Bedingungen macht die Concordia zu einem interessanten Ort für die Europäische Weltraumorganisation (ESA; siehe Kasten): Die Station kommt einer Raumfahrtsmission so nahe, wie es ohne die Erde zu verlassen möglich ist.  Während die Wissenschaftler der Concordia Astrophysik, Gletscherkunde, Seismologie und das Ozonloch erforschen, lebt ein ESA-geförderter Wissenschaftler unter ihnen, um die Auswirkungen einer langen Raumfahrt auf die körperliche und geistige Gesundheit der Astronauten zu erkunden.

Oliver Angerer, Wissenschaftskoordinator der ESA auf der Concordia Station:  “Wenn Sie sich zum Beispiel die Eigenschaften einer zukünftigen Marsmission ansehen, haben diese Szenarien ebenfalls eine kleine Mitarbeiterzahl, sogar kleiner als das Team der Concordia. Die meisten Missionen haben vier bis sechs Teammitglieder.”

“Auch diese Menschen befinden sich auf einem begrentzen Raum in einer sehr rauen Umgebung – dem luftleeren Weltraum. Hier gibt es keinen normalen Tag- und Nachtrhythmus, die Ressourcen sind sehr begrenzt, man muss mit jeder Art von Notfällen mit den zur Verfügung stehenden Mitteln umgehen können.”

Training der Besatzung für
einen Gang auf dem Mars im
simulierten Marsgelände des
Mars500 Experiments.

Mit freundlicher Genehmigung
der ESA

Die ESA unterstützte auch das kürzlich durchgeführte Mars500 Experimentw2, bei dem Freiwillige für die erwartete Dauer eines Hin-und Rückflugs zum roten Planeten von 520 Tagen in einem Raumschiffsimulator eingeschlossen waren. In mancher Hinsicht, wie die räumliche Einschränkung und die Abgrenzung des Teams, war die Mars500 Simulation einer Raumfahrtsmission ähnlicher als das Concordia Szenario. Jedoch war das Team von Mars500 keinen wirklichen Gefahren ausgesetzt und das durchgeführte wissenschaftliche Programm ging weit über das einer Raumfahrtsmission hinaus.

Die Concordia
Forschungsstation

Mit freundlicher Genehmigung
von StephenHudson;
Bildquelle: Wikimedia
Commons

Diesbezüglich bietet die Concordia eine realistischere Nachbildung von Weltraumfahrten. “Wenn man Raumfahrten erforscht, brauchen wir beides, Simulationen und Nachbildungen; sie ergänzen sich gegenseitig, da sich ihre Vor- und Nachteile gegeneinader spiegeln”, erklärt Oliver.

Zwar ist die kleine Gruppe, die den antarktischen Winter über in der Concordia Station lebt, ein bisschen größer als die Besatzung einer Weltraumsmission, aber der mentale und körperliche Druck ist sehr stark. Deshalb lebt keiner permanent auf der Basis- die Mitarbeiter werden jeden Sommer ausgetauscht.

Dies gilt auch für die von der ESA geförderten Wissenschaftler- der letzte Ankömmling war Alexander Kumarw3, ein britischer Arzt, der im Januar 2012 auf der Concordia angekommen ist.

Dieser regelmäßige Austausch ermöglichte es, interessante Vergleiche zwischen verschiedenen Besatzungen herzustellen. Auswertungen der ersten Gruppe, die den Winter im Jahr 2005 auf der Station verbracht hatte, ergaben, dass diese Gruppe die Situation generell besser bewältigt hatte, als Gruppen, die danach kamen. Vielleicht lag dies daran, dass die Gruppe zusammen arbeiten musste, um die Station zu errichten und in Betrieb zu nehmen. Diese Art von gemeinsamer Zielsetzung ist wichtig, um die Moral aufrecht zu erhalten.

Leben auf der Concordia
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Insbesondere in den drei Wintermonaten, wenn die Sonne nicht über dem Horizont aufgeht, hilft es auch, sich zusammen zu setzen, um gemeinsam zu essen, sagt Oliver. “Dies ist etwas, das einem ein bisschen Struktur gibt, besonders da es keinen Tag-Nacht Rhythmus gibt.” Gemeinsame Mahlzeiten sind nicht immer möglich, da das Leben auf der Concordia sehr geschäftig ist. Ein großer Teil der wissenschaftlichen Tätigkeit gehört der Astronomie. Die Astronomen haben oft eine andere Zeitplanung als der Rest der Besatzung.

Unter normalen Bedingungen unterliegt ein überraschend großer Anteil unserer Physiologie und unseres Verhaltens einem zirkadianen (Tages) Rhythmus – nicht nur unser Schlaf- und das Essverhalten, sondern auch unsere Körperkerntemperatur, Stoffwechselrate, Hirnstromaktivität, Hormonlevel und unser Blutdruck. Der zirkadiane Rhythmus reagiert auf die regelmäßigen Zyklen von Licht und Dunkelheit. Das Fehlen einer offensichtlichen Nacht und von Tageslicht für einen Teil des Jahres ist ein großes Problem, dem die Mitarbeiter der Concordia ausgesetzt sind, und dem auch die Besatzung einer Marsmission gegenüberstehen würde.

Blaues Licht hilft, den
zirkadianen Rhythmus zu
kontrollieren

Mit freundlicher Genehmigung
von Gussisauri; Bildquelle:
Wikimedia Commons

Es gibt jedoch einige einfache Dinge, die man dagegen einsetzen kann. Ein Experiment auf der Concordia zum Beispiel beinhaltete die fast unmerkliche Veränderung der Farben der Lichter im Innern der Gebäude der Station. “Tests haben gezeigt, dass wir in unseren Augen nicht nur Stäbchen (die Zellen, die Licht und Dunkelheit detektieren) und Zapfen (jene Zellen, die unser Farbsehen ermöglichen) als Lichtrezeptoren besitzen; es gibt auch einen dritten Rezeptor, der besonders sensibel gegenüber blauem Licht istw4,” erklärt Oliver. “Und dieser Rezeptor wird nicht nur, wenn überhaupt, zum Sehen benutzt, sondern ist auch direkt mit den Gehirnsensoren, die unseren zirkadianen Rhythmus kontrollieren, verbundenw5.”

Es stellte sich heraus, dass in der Standard- Innenbeleuchtung, selbst wenn uns diese als Weiß erscheint, ein Großteil des Blauspektrums, das unser Gehirn während der Tagesstunden erwartet, fehlt. Unser Körper erkennt somit nicht die Zeichen, die unsere innere Uhr normalerweise ticken lassen. Die Lösung? Der Einbau von blauem Licht in den Arbeitsbereichen der Station und rötlichem Licht mit geringerem Blauanteil in den Schlafsälen. Das Ergebnis? Ein besserer Schlaf.

Die Concordia genießt ihren
letzen Sonnenntergang für
vier Monate

Mit freundlicher Genehmigung
der ESA – A Kumar

Das Leben in einer kleinen Gruppe auf begrentzem Raum hat auch einen Effekt auf die körperliche Gesundheit der Stationsbesatzung. Die Isolation führt zu fehlenden Infektionen von draußen, was in einer Schwächung des Immunsystems resultiert. Gleichzeitig aber bedeutet das Leben in solch engen Räumen, dass vorhandene Infektionen innerhalb der Station von jedem geteilt werden. Ein weiterer Aspekt, warum das Leben auf der Concordia dem Leben im Weltraum ähnelt.

“Wenn man auf der Station ist, bekommt man den Eindruck, als sei man fast auf einem anderen Planeten, obwohl man auf der Erde bleibt.”, sagt Oliver. Mit dem letzten Flug im antarktischen Sommer wird Alexander Kumar herausfinden, wie wahr diese Aussage ist.

Mehr über die ESA

Die europäische Weltraumorganisation (ESA)w6ist Europas Tor zum Weltraum. Ihre Mission besteht in der Entwicklung von Europas Weltraumstauglichkeit und in der Gewährleistung, dass Investitionen in die Weltraumforschung den Europäern und der ganzen Welt Vorteile verschaffen.

Die ESA ist Mitglied des EIROforumsw7, dem Herausgeber von Science in School.


 

Danksagung

Dieser Artikel basiert auf einem Interview der Chefredakteurin von Science in School, Dr. Eleanor Hayes mit Dr. Oliver Angerer.


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Author(s)

Oli Usher ist ein Wissenschaftsjournalist. Er trägt einen Doktortitel in Wissenschaftsgeschichte- und -philosophie und hat als Journalist und in der Wissenschaftskommunikation gearbeitet. Zur Zeit arbeitet er als Direktor für Öffentlichkeitsarbeit für das NASA/ESA Hubble Weltraumteleskop.

Review

Dieser Artikel erklärt, wie Wissenschaftler ein besseres Verständnis der Auswirkungen von langen Weltraumsmissionen auf die physische und mentale Gesundheit von Astronauten erhalten haben, indem sie das tägliche Leben des Teams auf der Concordia Forschungsstation, die sich auf einem Eisplateau tief in der Antarktis befindet, erforschten.

Der Artikel enthält ein großes fachübergreifendes Potential. In der Hauptschule kann der Artikel als Anhaltspunkt für Gruppendiskussionen über die Beziehungen von Wissenschaft, Technologie und Gesellschaft  genutzt werden. Alternativ könnten die Schüler die gesundheitlichen Herausforderungen, die die Astronauten während einer Weltraumsmission meistern müssen, auflisten und über Lösungen, basierend auf wissenschaftlichen Erkenntnissen, diskutieren.

Für das Gymnasium wäre das passendste Thema die Biologie. Der Artikel könnte als Anhaltspunkt genutzt werden, um die homeostatischen Mechanismen zu reflektieren und zu überlegen, wie der Körper durch äußerliche Faktoren, zum Beispiel Licht, beeinflusst wird. Die Schüler könnten ebenfalls die gesundheitlichen Herausforderungen der Astronauten diskutieren. Dies kann noch weitergeführt werden, indem man andere große Herausforderungen, die bei zukünftigen Weltraumsmissionen berücksichtigt werden müssen und die nicht im Artikel genannt sind, diskutiert und reflektiert. Die Schüler sollten Vorschläge machen, wie man die Auswirkungen solcher Faktoren untersuchen könnte.

Betina da Silva Lopes, Portugal

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