Kämpfer gegen Pseudowissenschaft: Daniella Muallem Inspire article

Übersetzt von Katharina Nöske. Daniella Muallem spricht mit Eleanor Hayes über die Anfechtung irreführender „wissenschaftlicher“ Behauptungen.

Daniella Muallem
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von von Shirley Shalev

Wie gerät eine Biophysikerin in die Schlacht gegen Pseudowissenschaft? „Ich war wie viele junge Wissenschaftler“, erinnert sich Daniella Muallem. „Ich hatte Leidenschaft für meine Wissenschaft, Leidenschaft für die Forschung, aber ich wusste nicht, wie ich sie nutzen konnte, um einen direkten Einfluss auf die Gesellschaft zu nehmen. Wenn ich Fehlinformationen über Wissenschaft oder lächerliche Produktversprechen sah, habe ich mich bei meinen Kollegen beschwert und wir haben alle darüber gestöhnt, aber wir haben nichts dagegen unternommen.“

Das war zumindest so lange so, bis sie Voice of Young Science (VOYS, ausgesprochen wie das englische “voice” für Stimme)w1 beitrat. VOYS, koordiniert von der britischen Wohltätigkeitsorganisation Sense About Sciencew2 ist ein Netzwerk junger Wissenschaftler am Anfang ihrer Karriere, die in der Öffentlichkeit für die Wissenschaft eintreten wollen, indem sie Produktversprechen untersuchen und Fehlinformationen in den Medien korrigieren.

„Eines der Dinge, die ich durch die Arbeit bei VOYS gelernt habe, ist, dass man sogar zu Beginn der Karriere ein Experte für wissenschaftliche Prozesse ist und somit in einer starken Position, um schlechte Wissenschaft in der öffentlichen Arena zu konfrontieren.“

 

Pseudowissenschaft: eine Sammlung von Überzeugungen oder Praktiken, die fälschlicherweise als wissenschaftlich fundiert angesehen werden.


 

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Daniella trat dem Kampf bei, als sie und andere VOYS-Mitglieder beschlossen, die Behauptungen vieler “Detox”-Produkte anzugreifen. „Der Begriff klingt wissenschaftlich, wird aber für die Beschreibung einer großen Produktpalette benutzt. Es gibt beispielsweise detox-Fußpads, die man sich über Nacht auf die Fußsohle kleben soll und die dir angeblich im Schlaf Toxine entziehen. Detox-Haarglätter, detox-Gesichtswaschmittel, detox-Körperbürsten – es gibt eine ganze Bandbreite an Produkten.“

Die jungen Wissenschaftler traten an die Firmen heran, die solche Detoxprodukte vermarkten mit den Fragen „Was meinen Sie mit detox?“, „Welche Toxine entziehen Sie?“ und „Haben Sie irgendwelche Beweise für die Behauptungen, die Sie aufstellen?“.

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von Sense About Science

Zu Daniellas Überraschung waren die Firmen überhaupt nicht auf solche Fragen vorbereitet. „Sie hatten kein Material vorbereitet; wenn wir darum baten, mit ihren wissenschaftlichen Abteilungen zu sprechen, gab es diese nicht; und in manchen Fällen stimmten uns die Kundenbeauftragten am Ende sogar zu: Die Produkte tun eigentlich nichts anderes als nicht-detox-Produkte. Andere weigerten sich einfach, mit uns zu sprechen.“

Daniella und die anderen VOYS-Wissenschaftler zogen ihre eigenen Schlüsse: „Es war klar, dass detox keine wissenschaftliche Bedeutung hat und nur ein pseudowissenschaftlicher Vermarktungsslogan ist.“ Sie veröffentlichten ihren Report inklusive der Abschriften von Interviews mit den Firmen kurz nach Weihnachten, „wenn alle besessen von detox sind.“ Das Interesse der Medien war riesig und die jungen Forscher wurden um viele Interviews gebeten.

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Aber ist nicht eigentlich jedem schon klar, dass diese und ähnliche wissenschaftlich anmutenden Behauptungen Unsinn sind? Daniella glaubt das nicht: „Unserer Erfahrung nach sind die Leute nicht sicher, aber sie wissen nicht, wie sie ein Urteil darüber fällen können.“

Also hat ein Teil der Öffentlichkeit profitiert – und Daniella ebenfalls. „Das Beste an der Arbeit mit VOYS war, meine Erfahrung und mein Wissen für die Allgemeinheit einzusetzen. Und es hat mir die Chance gegeben, Mitglied eines richtigen Teams zu sein, was in der Forschung manchmal fehlt.“

Neben ihrer post-doktoralen Forschung in Biophysik führt Daniella ihre Arbeit bei VOYS fort.

Als sie von einer Konferenz zum Thema Homöopathie als Therapie gegen HIV, AIDS, Malaria und andere lebensbedrohlichen Krankheiten in Afrika hörten, fanden sie und andere VOYS-Wissenschaftler heraus, dass einige Organisationen Homöopathie als billige, effektive, nebenwirkungsfreie Alternative (nicht Ergänzung) zu konventioneller Medizin fördern.

Geschätzte Verbreitung (%)
von HIV unter Erwachsenen
(15-49) pro Land in 2009.
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von UNAIDS; Bildquelle:
UNAIDS

Besonders entsetzt waren sie von der Haltung der Weltgesundheitsorganisation (WHO): „Versteckt zwischen all ihrer Information sagten sie, dass „der Nachteil der Homöopathie ist, dass sie nicht wirklich funktioniert“, aber auch, dass „der Vorteil der Homöopathie ist, dass sie wirklich billig ist“.

Mithilfe von Sense About Science involvierten sie Ärzte, die in Afrika arbeiten und Experten auf dem Gebiet HIV und Malaria und schrieben einen Brief an die WHO, den sie gleichzeitig an die Medien herausgaben. „Die Antwort der WHO war nicht so schnell, wie wir gewünscht hätten, aber nach wochenlangem Drängen bekamen wir endlich eine Antwort: Die WHO machte eine klare Aussage, dass Homöopathie nicht angemessen ist um lebensbedrohliche Krankheiten in Afrika zu behandeln. Die weltweite Berichterstattung darüber war enorm.“

Von dieser Erfahrung inspiriert, beschäftigte Daniella sich mehr mit wissenschaftlicher Kommunikation. „Ich liebte die kreativen Aspekte der Forschung, das Gefühl der Aufregung, wenn meine Ideen sich als gut herausstellten und die Versunkenheit in meine Forschung, aber die Beschaffenheit der akademischen Forschung bedeutet, dass du dich auf einen kleinen wissenschaftlichen Bereich konzentrieren musst. Es kann sich auch manchmal ziemlich alltagsfremd anfühlen. Meine Erfahrung bei VOYS hat mir gezeigt, dass ich die Forschung zwar liebe, aber gerne mehr mit den Auswirkungen der Wissenschaft auf das alltägliche Leben und alltägliche Menschen zu tun haben möchte. Ich habe auch gemerkt, wie viel Spaß es mir macht, mit verschiedenen Leuten zu tun zu haben.“

Gitterstruktur eines unreifen
HIV-Partikels. Die
3D-Computerrekonstruktion
zeigt das unreife Gag-Gitter
von HIV, das ausreift und die
Proteinhülle des infektiösen
Virus bildet.

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von John Briggs/ EMBL

In 2010 wagte sie den Sprung und verließ Karriere, Land und sogar den Kontinent – und lebt jetzt in Israel, wo sie als Forschungsanalytikerin im Sektor umweltfreundliche Technologie arbeitet. Das beinhaltet die Untersuchung und Berichterstattung über Unternehmen, die Technologien entwickeln, um die Umwelt zu verbessern, beispielsweise erneuerbare Energien und Energieeffizienz.

Das klingt nach einem langen Weg vom Labor, aber Daniella stimmt da nicht zu. „Ich nutze all die Fähigkeiten und das Wissen, das ich ein meiner wissenschaftlichen Laufbahn erworben habe, so wie Forschungsmethoden, Analyse von Informationen, Beschreiben und Präsentieren meiner Ergebnisse. Ich ziehe auch meinen biologischen und physikalischen Hintergrund heran, um die Technologien und die Wissenschaft in neuen Bereichen der Biotechnologie und der Sauberen Technologie zu verstehen. Diese Aufträge bringen mich näher an die Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Technologie und an die Auswirkungen der Wissenschaft für das Wohl der menschlichen Gesundheit und der Umwelt heran.“

Die Anopheles albimanus-
Mücke, ein Überträger von
Malaria

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von James Gathany / Public
Health Image Library

Trotz der geographischen Distanz bleibt Daniella in Kontakt mit VOYS. Das Netzwerk ermutigt junge professionelle Wissenschaftler – Doktoranden und Postdocs – dubios klingende wissenschaftliche Behauptungen anzufechten, aber, so Daniella, „Man muss kein Wissenschaftler sein, um nach Erklärungen zu fragen. Indem wir die richtigen Fragen stellen, können wir uns alle am Kampf gegen Pseudowissenschaften beteiligen. Wenn du etwas siehst, was dir falsch erscheint, frag!“

Daniellas Rat für Schüler ist, als Gruppe zu arbeiten, weil es nach ihrer Erfahrung motivierender ist. Und auch wenn man nicht im Fernsehen endet, gibt es trotzdem viel, was man tun kann. „Wenn du deine Schule dafür interessieren kannst, Pseudowissenschaft anzugreifen und die Bedeutung von Beweisen zu verstehen, dann ist das schon ein großer Schritt. Du könntest vorschlagen, eine Diskussion in der Klasse zu führen, oder auswärtige Sprecher einladen und versuchen, im Schulmagazin oder der lokalen Zeitung über deine Erfahrungen zu schreiben.“

Wir bei Science in School freuen uns darauf, zu hören, was Sie und Ihre Schüler unternommen haben.

Und was plant Daniella als nächstes? „Die einfache Antwort ist, ich weiß es nicht. Wenn man einen wissenschaftlichen Hintergrund hat, stehen einem vielen Türen offen, und es sind so viele verschiedene Richtungen möglich, dass es manchmal schwer fällt, eine Entscheidung zu treffen.“


Web References

  • w1 – Um mehr über Voice of Young Science (VOYS) zu erfahren, siehe: www.senseaboutscience.org.uk/voys
    • Um mehr über das „Detox-Dossier“, die Untersuchungen zu Homöopathie und die Medienberichterstattungen darüber zu erfahren, besuchen Sie die Sense About Science Websitew2 oder nutzen Sie den Direktlink: http://tinyurl.com/3hlvmah

    • Diese und andere Untersuchungen von VOYS sind in There Goes the Science Bit: A Guide to Standing up for Science zusammengefasst, das von der About Science websitew2 oder über den Direktlink heruntergeladen werden kann: http://tinyurl.com/3vryo3x

  • w2 – Sense About Science ist eine Wohltätigkeitsorganisation, die mit Wissenschaftlern und Bürgerinitiativen zusammenarbeiten, um auf die Fehlinterpretationen von Wissenschaften und wissenschaftlichen Fakten einzugehen, die von Bedeutung für die  Gesellschaft sind. Um mehr zu erfahren oder aktiv zu werden, besuchen Sie: www.senseaboutscience.org.uk

Author(s)

Dr. Eleanor Hayes ist Chefredakteurin bei Science in School. Sie hat Zoologie an der Universität Oxford, Großbritannien, studiert und ihren Doktor in Insektenökologie erworben. Dann arbeitete sie einige Zeit in der Universitätsadministration bevor sie nach Deutschland zog und in das wissenschaftliche Verlagswesen wechselte, anfangs für ein Bioinformatikunternehmen, dann für eine wissenschaftliche Gesellschaft. 2005 kam sie ans European Molecular Biology Laboraty und rief Science in School ins Leben.

Review

Dieser Artikel spricht darauf an, wie wichtig es ist, der Öffentlichkeit bewusst zu machen, dass nicht alles, was sich wissenschaftlich anhört, auch tatsächlich Wissenschaft ist, weshalb wissenschaftliche Bildung – und wissenschaftlicher Unterricht – unerlässlich ist.

Den Artikel zu lesen, wäre ein ausgezeichneter Anfang für ein interdisziplinäres Projekt von Sekundärschülern der Klassen 10-12 (Alter 15-18). Biologie- und Chemielehrer könnten beispielsweise zusammen mit ihren Schülern „wissenschaftliche“ Slogans aus Produktwerbungen untersuchen (z. B. in der Kosmetik- und Lebensmittelindustrie).

Der Artikel könnte auch als Startpunkt für eine Diskussion genutzt werden. Zum Beispiel:

Dies sollte die Schüler dazu anregen, zu erkennen, dass wir ein gewisses Maß an Wissen brauchen, damit wir falsche Behauptungen entdecken. Deswegen sollten auch Leute, die keine wissenschaftliche Karriere verfolgen, wissenschaftlich gebildet sein (bzw. die Möglichkeit dazu haben).

  1. Daniella Muallem sagt „Man muss kein Wissenschaftler sein, um nach Erklärungen zu fragen. Indem wir die richtigen Fragen stellen, können wir uns alle am Kampf gegen Pseudowissenschaften beteiligen. Wenn du etwas siehst, was dir falsch erscheint, frag!“ Stimmst du zu? Begründe deine Meinung.
  2. Daniella behauptet, dass „Wissenschaft das alltägliche Leben und alltägliche Menschen betrifft“ und „der menschlichen Gesundheit und der Umwelt zugutekommt“. Liste einige Beispiele auf, um dieses Argument zu bestätigen und erkläre sie; versuche, Beispiele aus verschiedenen wissenschaftlichen Bereichen zu finden.

Betina da Silva Lopes, Portugal

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